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«Arial ist ein Metzger, Segoe eine Künstlerin»

21.04.16


Was sagt die Computerschrift über ihren Autor aus? Sollten wir uns mehr Gedanken um die Wirkung von Schriften machen? «Ja», meint Typographie-Experte Ralf Turtschi*. Welche Schriften sich für Bewerbungen eignen, erzählt er im Interview.


Redaktion/Interview: Textagentur etextera

Herr Turtschi, im Alltag macht sich kaum jemand ernsthaft Gedanken um die Wirkung der Schrift. Der Inhalt steht im Vordergrund, die Gestaltung wird meist vernachlässig. Ein Fehler?

Ich frage zurück: Spielt es eine Rolle, was Sie morgens anziehen? Ob ein Manager Bergschuhe zum Anzug trägt oder Lederschuhe? Genauso können wir uns fragen, ob es etwas ausmacht, welche Schrift wir wählen. Im Corporate Design sind Schriften für die Markenführung von grosser Bedeutung. Nivea etwa verwendet seit Jahrzehnten dieselbe. VW wiederum hat aktuell ein Redesign vorgenommen und sich für eine modernere Schrift entschieden. Generell ist eine Schrift entweder leserlich oder plakativ. Beides zusammen geht nicht. So hat sich VW von seiner plakativen Schrift Futura verabschiedet zugunsten einer moderneren, aber weniger charaktervollen, die aber dafür besser leserlich ist.

Welche Schrift ist ein sicherer Wert, wenn man nichts falsch machen will, etwa bei einer Bewerbung?

Mit der Segoe UI liegen Sie immer richtig beim Schriftverkehr im Büro. Sie ist eine der mitgelieferten Windows-Standardschriften, die seit 2007 auf allen PC-Rechnern vorhanden sind.

Je dicker die Schrift, umso mehr «brüllt» sie

Sie empfehlen, sich von der allgegenwärtigen Arial zu verabschieden?

Mit Arial in 9,5 oder 10 Punkt macht man grundsätzlich nichts falsch. Ich würde allerdings raten, den Text zunächst auszudrucken und genau anzuschauen. Findet die Person dann: «Das sieht gut aus», brauchen Sie gar nicht weiter zu diskutieren. Steht jemand auf Retro, ist dies nun mal so. Allerdings entwickelt sich Design permanent weiter. Die 1982 kreierte Arial wurde so konzipiert, dass sie auf den alten Bildschirmen gut lesbar war. Heute, auf den modernen Bildschirmen, wirkt sie oft zu grobschlächtig und dick. Denn: Je dicker die Schrift, umso mehr «brüllt» sie. Arial bold wirkt deshalb wie ein Brüller. Segoe, die Nachfolgeschrift, ist da viel feiner und hat einen moderneren Ausdruck.

Zeige mir, wie du schreibst und ich sage dir, wer du bist – funktioniert das?

Ganz so weit würde ich nicht gehen. Vergleicht man Schriften aber mit Berufen, dann ist Segoe eine Künstlerin und Arial ein Zimmermann oder Metzger. Die Frage bleibt jedoch: Kommt das beim Rezipienten auch so an bzw. ist dieser darauf sensibilisiert? Stehen wir morgens vorm Kleiderschrank, wählen wir ja meist intuitiv die passende Garderobe: Für ein Kundenmeeting keine Flipflops, sondern Highheels zum Beispiel. Ähnlich ist es mit Schriften. Es gibt Leute mit Stilbewusstsein und eben auch solche mit Schriftbewusstsein.

Lohnt es sich, in der Bewerbung mit Schriften zu experimentieren?

Auf keinen Fall! Eine Bewerbung ist nicht dazu da, die eigene typographische Kreativität auszudrücken. Stattdessen wollen Sie mit Infos punkten. Von der Form sollten Sie deshalb eher auf Understatement setzen.

Handschriftliche Typen bei Bewerbungen vermeiden

Welche Schrift geht dabei gar nicht?

Solche, die nicht lesbar sind. Handschriftliche Typen sollten Sie strikt vermeiden. Schliesslich gibt es in Bewerbungen oft viele Zahlen und tabellarische Auflistungen, wofür sich diese überhaupt nicht eignen. Eine Schrift für die Bewerbung sollte möglichst ohne Serifen sein und vor allem bildschirmtauglich – schliesslich werden Bewerbungen heute meist elektronisch versandt. Mit der Segoe UI kann man hier, wie gesagt, nichts falsch machen. Auch Calibri eignet sich gut, sie ist etwas runder und voller. Sehr elegant ist auch Constantia. Allerdings hat sie Serifen und sollte daher eher für Bücher als für Bürokorrespondenz verwendet werden. Monospace-Schriften wiederum, wie etwa Letter Gothic, Courier oder Consolas, erinnern an das Schreibmaschinenzeitalter und wirken ältlich.

Haben Sie persönlich eine Lieblingsschrift?

Ich wäre ein armer Mensch, hätte ich eine. Allerdings bin ich hier auch keine Referenz. Für mich hat jede Schrift ihr eigenes Gesicht, ihren eigenen Charme – so wie ein Kind. Unter Hunderten von Schriften, mit denen ich arbeite, gibt es viele kleine Lieblinge.

Zur Person

*Ralf Turtschi ist Gestalter, Publizist undInhaber von Agenturtschi, einer Agentur für visuelle Kommunikation. Er verfügt über breite Erfahrung in Bereichen des Grafikdesigns, Editorial Designs und der Typografie. Als Buchautor, Fachjournalist und Kommunikationsberater hat er Fachbücher und Broschüren veröffentlicht sowie zahlreiche Fachartikel zu verschiedenen Themen.

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