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«Neun von zehn Medienmitteilungen verschwinden im Papierkorb»

22.09.16


Wie muss eine Mitteilung heute aufgebaut sein, damit sie es in die Medien schafft? Reto Schlatter, Studienleiter am MAZ Luzern erzählt, weshalb er an die Zukunft von Medienmitteilungen glaubt, und warum ungefilterte Unternehmenstexte von Lesern nicht goutiert werden.


Redaktion/Interview: Textagentur etextera

Herr Schlatter, ist die klassische, oft sehr textlastige Medienmitteilung aus der Mode gekommen?

In der Schweiz sicher nicht. Vor zehn Jahren lautete zwar die Prognose, die klassische Medienmitteilung werde aussterben. Heute jedoch sehen wir: Diese Annahme war falsch. Eine Umfrage der sda-Tochter news aktuell vom Januar 2016 zeigt: Selbst jüngere Redaktoren unter 35 nutzen für ihre Recherchen zu über 90 Prozent Mitteilungen von Unternehmen. Was bedeutet: Die Medienmitteilung lebt.

Verändert haben sich aber die Bedürfnisse der Medien.

Das stimmt, vor allem die der Online-Medien. Kompaktere und bildhaftere Mitteilungen sind heute gefragt, angereichert mit Bildern und Videos. Diese können zum Beispiel Statements von Protagonisten zum Inhalt haben, wie etwa CEOs. Insgesamt werden Medienmitteilungen kürzer, die Anforderungen an ihre Textqualität jedoch höher. Mehr denn je gilt es, auf wenig Platz viel rüber zu bringen.

Zwei bis dreiseitige Mitteilungen werden es in Zukunft noch schwerer haben

Weil keiner mehr Zeit hat, zwei bis drei Seiten zu lesen?

Ja, in Zukunft werden es zwei bis dreiseitige Medienmitteilungen noch viel schwerer haben, als dies bereits der Fall ist. Schätzungsweise neun von zehn Mitteilungen verschwinden im Papierkorb – sei es physisch oder virtuell. Nur eine von zehn wird also bearbeitet.

Was hat diese eine Medienmitteilung, was die anderen nicht haben?

Sie verfügt in der Regel über Neuigkeiten, die relevant sind, über tatsächliche Information statt PR getriebener Werbung. Zudem ist sie im Idealfall kompakt aufbereitet, verständlich und adressatengerecht – das heisst, Redaktionen können den Content tatsächlich verwenden. Das Ganze ist am besten angereichert mit belebenden Elementen und Formaten, wie Infografiken, Studien oder Umfragen.

Sollten Unternehmen, um den Erfolg zu erhöhen, individuelle Medienmitteilungen verschicken – zugeschnitten auf das jeweilige Medium?

Höchstens wenn es geografisch sinnvoll ist. Ist etwa ein Firmenstandort von der Schliessung betroffen, berichten lokale Medien aus anderen Blickwinkeln als dies bei einer schweizweiten sda-Meldung der Fall ist. Ansonsten bin ich da eher skeptisch. Die Freiheit zu entscheiden, was sich aus einer Mitteilung machen lässt, muss bei den Journalisten liegen.

KMU verschicken meist nach wie vor textlastige Medienmitteilungen

Eine Medienmitteilung sollte also relevant, verständlich und kompakt sein, sowie mit belebenden Elementen angereichert. Wie viel Prozent der heute verschickten Mitteilungen erfüllen diese Kriterien?

Ich schätze höchstens zehn Prozent. Diese stammen hauptsächlich von Global Playern, wie etwa Coca Cola oder Red Bull. Diese sind nicht auf klassische Medienmitteilungen angewiesen, sondern setzen vor allem auf digitalen Content in den Sozialen Medien. KMU hingegen verschicken meist nach wie vor textlastige Mitteilungen – weil sie es nicht anders kennen, aber auch weil ihnen die fähigen Leute fehlen, solchen Content zu produzieren.

Wann ist eine Medienmitteilung erfolgreich?

Wenn sie beachtet wird und Journalisten sie zu einer eigenen Geschichte verarbeiten. Wird die Mitteilung hingegen eins zu eins abgedruckt, ist das eher Zeichen eines nicht funktionierenden Journalismus oder schlicht Überforderung.

Leser erkennen, wenn ein Text ungefiltert vom Unternehmen kommt – und ärgern sich

Was viele Unternehmen aber anders einschätzen.

Ja, viele Firmen sind noch nicht so weit; für sie ist der identische Abdruck der grösste Erfolg. In meinen Seminaren versuche ich den Leuten deshalb immer klar zu machen: Leser sind schlau, sie erkennen wenn ein Text ungefiltert vom Unternehmen kommt. Ist dieser im redaktionellen Teil dann nicht als Werbung gekennzeichnet, ärgert sie das und die Medienmitteilung verfehlt ihr Ziel. Dann lieber gleich Werbung schalten oder eine Publireportage buchen.

Was sind die grössten Veränderungen, die im Bereich Medienmitteilung in den nächsten Jahren zu erwarten sind?

Die Verbreitungskanäle werden sich hoffentlich verändern, so dass das ständige Beliefern der Medien und die damit verbundene E-Mail-Flut aufhört. Vielleicht entstehen stattdessen Plattformen, auf denen Unternehmen Meldungen aufschalten, die Medien dann abrufen können. In den USA gibt es bereits solche Portale – das macht Hoffnung.


Zur Person

*Reto Schlatter, lic. Iur, ist Studienleiter an der Schweizer Journalistenschule MAZ in Luzern, Organisationsberater und Coach BSO und zudem als Medientrainer und Mediencoach tätig. Zuvor war er Inland-Redaktor bei den Schaffhauser Nachrichten, Ressortleiter Inland bei der Neuen Luzerner Zeitung, Wirtschaftsredaktor bei der Handelszeitung, Ressortleiter und zuletzt stellvertretender Chefredaktor.

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