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«Wem vertrauen Sie mehr – den Ortskenntnissen des Taxifahrers oder dem Navi?»

09.03.18

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Weshalb wir uns an Computerstimmen in Telefon-Hotlines gewöhnen müssen und wo die Chancen für Unternehmen beim Kontakt zu ihren Kunden liegen: Der Experte für kompetente Kundenkommunikation Manfred Ritschard* erklärt den Paradigmenwechsel im Kundenservice.


Redaktion/Interview: Textagentur etextera

Herr Ritschard, Kundenservice ist so wichtig wie nie zuvor; trotzdem sind viele Unternehmen nur sehr umständlich zu erreichen – teilen Sie diese Einschätzung?

Kunden wollen heute schnell und unkompliziert mit Unternehmen in Kontakt treten, und zwar so leicht und angenehm, wie sie es auch aus dem privaten Umfeld gewohnt sind. Mein Eindruck ist: Die meisten Unternehmen in der Schweiz, in Deutschland und Österreich sind gut erreichbar und reagieren relativ schnell. Gerade der E-Mail-Verkehr lässt sich wunderbar automatisieren. Ein rasches «Danke für Ihre Mail, wir melden uns bei Ihnen» ist fast selbstverständlich. In Kontaktformularen kann ich elektronisch mein Anliegen eingeben und erhalte meist ebenfalls sofort Rückmeldung – perfekt.

Und was ist mit Warteschleifen von Service-Hotlines, bei denen man sich minutenlang durchklicken muss, bis man endlich einen Ansprechpartner an der Strippe hat?

Haben wir uns daran nicht schon gewöhnt? Mich persönlich stört es jedenfalls nicht. Oder anders gesagt: Ich bin mir bewusst, dass dies eine Kostenfrage ist. Und Service kostet nun mal – etwa, wenn Sie sofort mit einem Menschen verbunden sein möchten. In ein paar Jahren wird menschliche Kommunikation ohnehin Luxus sein, weil Roboter und Chatbots solche Dienstleistungen komplett übernehmen. Ihre Frage wird sich dann erübrigen.

Die moderne Technik konkurrenziert den Menschen – auch in der Kundenkommunikation

Ist dies Fluch oder Segen?

Stellen Sie sich vor, Sie sind in einer fremden Stadt, nehmen sich ein Taxi und nennen dem Fahrer die Zieladresse. Vertrauen Sie mehr den Ortskenntnissen des Fahrers oder dem eingeschalteten Navi beziehungsweise Google Maps auf Ihrem Smartphone? Die moderne Technik konkurrenziert nun mal den Menschen. Und in vielen Bereichen ist sie sogar besser. Gerade was die Standards der Kundenkommunikation angeht.

Woran denken Sie dabei?

An Freundlichkeit und Aufrichtigkeit zum Beispiel. Angenommen, Sie betreten in fünf Jahren ein Hotel und werden nicht sofort freundlich begrüsst – also nicht nur mit «Hallo», sondern mit freundlicher Mimik, freundlicher Stimme und einer passenden Formulierung wie etwa «Guten Tag, willkommen bei ...» –, dann haben Sie es mit Sicherheit nicht mit einem Roboter am Empfang zu tun, denn dieser könnte das perfekt. Solche Standards lassen sich automatisieren.

Simple Kundenkommunikation kann also eine Maschine übernehmen?

Ja, das ist heute oft schon so. Allerdings – und hier liegt die Chance von Unternehmen – schätzen Kunden guten persönlichen Service oft mehr als tolle Produkte oder günstige Preise. Unternehmen können sich also profilieren mit besonders guter Kommunikation, mit besonders gutem Kundenservice – und zwar jenseits von Standards und Mainstream. Herausragende Kundenkommunikation wird so zum Unterscheidungsmerkmal. Die Frage, die sich Unternehmen stellen müssen, lautet: Wie können wir unsere Serviceleistungen definieren, sodass diese als Mehrwert wahrgenommen werden und Kunden bereit sind, dafür zu bezahlen?

Unternehmen müssen künftig auf neuartige Serviceleistungen setzen

Welche Art herausragende Serviceleistungen meinen Sie konkret?

Leide ich etwa unter Haarausfall, suche ich heute zunächst im Internet nach einer Lösung. In die Apotheke traue ich mich erst später und wage dort vielleicht nicht mal, den Haarausfall zu thematisieren. Kurz: Google vertrauen Sie mehr an als Ihrem Psychiater, geschweige denn einem Verkaufsberater. Die Chance von Unternehmen liegt nun darin, Kunden neuartige Serviceleistungen zu bieten, die Empathie und Eigenverantwortung voraussetzen – was Roboter oder Chatbots nicht können. Den Kunden also dort abholen, wo er steht; und zum Beispiel in der Apotheke eine vertrauensvolle Lifestyle-Beratung rund um Gesundheit, Wohlbefinden und Körperpflege anbieten.

Welche Veränderungen wird es in den nächsten Jahren in der Kundenkommunikation geben?

Beratung wird künftig etwas kosten müssen. Nehmen Sie zum Beispiel die Reisebranche: Stundenlang lassen sich heute Menschen im Reisebüro beraten, um dann doch im Internet zu buchen. Hier brauchen wir neue Geschäftsmodelle. Bis in fünf Jahren werden Reisebüros vielleicht gar nichts mehr verkaufen, sondern nur noch beraten. Und zwar kostenpflichtig, wie ein Anwalt. Das ist die Zukunft. Dies gilt auch für Werber, Architekten und alle, die im Vorfeld viel Zeit investieren und Offerten schreiben. Kurz: Wer heute noch von Margen und Provisionen aus dem Verkauf von Produkten lebt, wird in Zukunft seinen Verdienst zum Grossteil mit Beratung und Service bestreiten.

Der Verkäufer wird also zum Berater?

Vielmehr zum Coach des Kunden: Er hilft dem Kunden, herauszufinden, was er braucht und will. Darüber hinaus übernimmt er Verantwortung für den Kaufentscheid des Kunden und sagt diesem ehrlich, was gut für ihn ist – auch wenn es sich um ein Produkt der Konkurrenz handelt. Dies geht jedoch nur, wenn der Coach für seine Beratung ein Honorar erhält. Die Basis für diesen Topservice ist Vertrauen – was ich als Kunde eher zu Menschen aufbaue als zu Robotern. Schliesslich kann ich Ersteren fragen: «Was meinst du ehrlich? Soll ich es kaufen?» In diesem Paradigmenwechsel sehe ich die Zukunft der Kundenkommunikation.


Zur Person
*Manfred Ritschard gehört zu den Top 100 der Exzellent-Trainer der grössten europäischen Redneragentur Speakers Excellence. Als Keynote-Speaker und Unternehmensberater für kompetente Kundenkommunikation und angewandte Verkaufspsychologie zeigt er innovative Wege im digitalen Zeitalter auf – in Führung, Marketing, Service und Vertrieb. Zu seinen Kunden zählen sowohl namhafte Klein- und mittelständische Unternehmen als auch internationale Konzerne, die er bei der Entwicklung und Umsetzung innovativer Lösungen in Vertrieb und Service unterstützt.

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