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«Werkzeuge eines Märchenerzählers sind auch in der Kommunikation sinnvoll»

09.02.16

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Caspar von Loeper* ist professioneller Märchenerzähler. Was Pressesprecher und Kommunikationsprofis von ihm lernen können, erzählt er im Interview mit etextera.


Redaktion/Interview: Textagentur etextera, Kristina Reiss

Herr von Loeper, Märchen zu erzählen, gilt in der Welt der Kommunikation nicht gerade als Kompetenz, sondern eher als charakterliche Schwäche. Sie allerdings sagen: Pressesprecher sollten sich an Märchenerzählern ein Beispiel nehmen. Das müssen Sie erklären.

Es geht um die Art und Weise, wie ich etwas erzähle: beispielsweise Stille bewusst einsetzen, eine bildhafte Sprache verwenden und Kontakt zum Publikum aufbauen. Dann werden Menschen viel genauer zuhören, als wenn ich nur trockene Fakten aneinanderreihe. Diese Werkzeuge eines Märchenerzählers sind auch in der Kommunikation sinnvoll.

Wie kommt man darauf, Märchenerzähler zu werden?

Ich habe diese Kunst in England kennengelernt und war sofort fasziniert – vom Zauber, der von den Geschichten ausgeht, von der Bildsprache und vor allem von der tiefen Wahrheit, die in Märchen steckt. Interessanterweise gibt es Märchen in jedem Volk. Oft ähneln sich die Geschichten, auch wenn sich die Völker nie begegnet sind. Man kann also davon ausgehen, dass eine universelle, tiefe Wahrheit in Märchen steckt. Aus «Der Wolf und die sieben Geisslein» lässt sich zum Beispiel mitnehmen, dass das Böse – also der Wolf – überwunden werden kann. Ein Märchen mit starker Wirkung.

Märchen transportieren Bilder

Wem erzählen Sie Märchen?

Vorwiegend Erwachsenen in sozialtherapeutischen Einrichtungen in Deutschland und der Schweiz. Ausserdem leite ich auch Seminare für Leute, die sich für die Kunst des Märchenerzählens und ihre Wirkung interessieren. Durch das Erleben der Märchen werden nämlich Bilder aufgenommen, die Menschen guttun. So gibt es Märchen, die Mut machen, die nachdenklich stimmen oder die auf bestimmte Dinge aufmerksam machen. Ich finde es wichtig, dass man sich auch heute noch Märchen weitererzählt. Es ist eine ganz andere Erfahrung, als wenn man sie liest oder auf dem Bildschirm sieht.

Ihre berufliche Laufbahn begann aber ganz woanders.

Ja, ich komme eigentlich aus der Wirtschaft. Ich habe Management und Human Resources studiert und in diesem Bereich auch gearbeitet. Das Märchenerzählen habe ich dann als etwas sehr Substanzhaftes entdeckt. Und es auch selbst eingesetzt – etwa im Bereich Teamarbeit. Es ging damals darum, wie die einzelnen Abteilungen eines Unternehmens besser zusammenarbeiten könnten. Anhand der Bildsprache eines jüdischen Märchens habe ich versucht, die Mechanismen und Abläufe bewusst zu machen und auf eine andere Ebene zu holen. Grundsätzlich eignet sich jeder Bereich, in dem es um Kommunikation geht, für den Einsatz von Märchen.

«Storytelling» als erster Ansatz des Märchenerzählens

Was aber von Wirtschaft oder Kommunikation bisher noch nicht entdeckt wurde, oder?

In England schon. Ein Kollege von mir hat sich dort ganz darauf spezialisiert. Der angelsächsische Raum ist in dieser Hinsicht bereits weiter als der deutschsprachige.

Immerhin ist «Storytelling» auch bei uns in der Kommunikation heute in aller Munde.

Das geht schon mal in die richtige Richtung, ja. Aber das Ganze ist noch ausbaufähig. So kommt es neben der Verwendung der anfangs erwähnten Werkzeuge auch darauf an, dass sich der Erzähler ganz intensiv auf die Geschichte einlässt. Was er sagt, muss für den Zuhörer authentisch und stimmig sein. Und der Erzähler muss vor allem selbst daran glauben.

«Märchen erzählen» steht allerdings oft als Synonym für «Lügen erzählen». Tut das dem ­Märchen unrecht?

Ja, weil alle Märchen ein Stück Wahrheit enthalten – natürlich nicht eins zu eins, aber im übertragenen Sinne schon. Oder, wie bereits Goethe sagte: «Ein Märchen hat seine Wahrheit und muss sie haben, sonst wäre es kein Märchen.»

Zur Person

*Der in Genf aufgewachsene Caspar von Loeper schloss ein Jurastudium und einen Master in Management with Human Resources ab, bevor er sich in England an der International School of Storytelling (Emerson College) zum Storyteller ausbilden liess. Er erzählt in Schulen, Gefängnissen, heilpädagogischen Einrichtungen, Altersheimen und bei öffentlichen Auftritten. In Deutschland leitet er die Ausbildung «Die Kunst des Märchenerzählens» und bietet ein umfangreiches Angebot an Fortbildungen und Seminaren an.

Bild Froschkönig: Hildegardisklause/pixelio.de

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