Themen Im Fokus
Wissen

«Es ist eine Frage der Selbstdisziplin, nicht dauernd in den Posteingang zu schauen.»

18.10.18


Was tun gegen die tägliche E-Mail-Flut, überhandnehmender CC-Nachrichten und eine überquellende Inbox? Der Spezialist für Effizienz im Büro, Jürgen Kurz*, weiss Rat.


Redaktion/Interview: Text- und Übersetzungsagentur etextera

Herr Kurz, viele Fachleute sind der Meinung, dass E-Mails Unternehmen mehr schaden als nützen. Schliesslich verläuft die Kommunikation damit oft sehr uneffektiv. Teilen Sie diese Einschätzung?

Überhaupt nicht! Ich stimme zwar zu, dass E-Mails zur Belastung geworden sind. Allerdings ist dies kein Problem der E-Mail, sondern der Handhabung. Mit einem Messer kann man sich ja auch verletzten, trotzdem würde niemand darauf kommen, es zu verteufeln. E-Mails sind eine tolle Sache, solange man sich an gewisse Regeln hält.

In welchen Situationen nützen E-Mails?

Möchte ich zum Beispiel sämtliche Mitarbeitenden zu einer Veranstaltung einladen, die Tagesordnung oder eine Liste anhängen, in die sich die Teilnehmenden eintragen können, ist eine E-Mail von unschätzbarem Wert. Nicht auszudenken, ich müsste alle einzeln anrufen oder anschreiben. Will man eine grosse Runde informieren, geht nichts über das Medium E-Mail.

Und wann ist die elektronische Post ein No-Go?

Wenn es um Konflikte geht oder kritische Themen. Denn die geschriebene Sprache klingt oft sehr hart, es gibt keine Zwischentöne. Steht man ausschliesslich in E-Mail-Kontakt, erkaltet die Beziehung.

Ein übersichtlicher Posteingang Dank des Fünf-Punkte-Systems

Was sind die grössten Fehler im täglichen E-Mail-Verkehr?

In vielen Firmen werden E-Mails zur Absicherung verwendet. Man schickt ein Dokument an alle, um die Verantwortung von sich zu schieben; und um hinterher sagen zu können «ich habe euch doch informiert!». Ein zweiter Fehler, der in Unternehmen oft gemacht wird: Mein Chef lobt mich nicht, also demonstriere ich durch das Schreiben unzähliger Mails, wieviel ich leiste. Und produzieren so eine unnötige E-Mail-Flut.

Die Metapher von der E-Mail als elektronischem Brief nährt die Illusion, man müsse alle E-Mails lesen und erzeugt so ein ständig schlechtes Gewissen, weil noch 148'714 E-Mails gecheckt werden müssen. Wie reduziert man die Anzahl der Nachrichten im Posteingang?

Durch effektives Sichten und vor allem Vermeiden, dass die Inbox zur «running to-do-list» wird. Ich empfehle hier immer das Fünf-Punkte-System. Beim Öffnen einer Nachricht entscheidet man sofort, was damit zu tun ist. Ist es etwa Spam, lösche ich die Mail sofort. Betrifft sie mich nicht, leite ich sie unmittelbar weiter. Handelt es sich um eine Info-Mail, auf die ich nicht reagieren muss, archiviere ich sie auf der Stelle. Ist die E-Mail in ein, zwei Sätzen zu beantworten, mache ich auch dies sofort. Diese vier Punkte verlangen nicht viel Zeit und sind schnell zu erledigen. Handelt es sich aber – und hier komme ich zu Punkt fünf – um eine E-Mail, die längere Bearbeitungsdauer in Anspruch nimmt, lasse ich sie nicht in meinem Posteingang stehen, sondern terminiere ihre Bearbeitung in meinem Kalender für eine bestimmte Zeit. Alternativ setze ich sie auf meine to-do-list und kümmere mich ebenfalls später darum. Auf diese Weise bleibt der Posteingang stets übersichtlich.

Muss man E-Mails wirklich sofort beantworten?

Nun ist aber im Tagesgeschäft jede eingehende E-Mail eine Unterbrechung. Wie reagiert man am besten darauf?

Indem man nicht ständig neu eintreffende Mails liest, sondern dafür feste Zeiten einführt. Die Frage ist doch: Muss man E-Mails wirklich sofort beantworten? Oft sind diese schliesslich gar nicht so dringend, wie sie suggerieren. Wer sofort auf eine Mail antwortet, erhält vom Empfänger oft ebenfalls unmittelbar eine Antwort, und so entspinnt sich ein E-Mail-Ping-Pong, das nicht sein müsste. Beantworte ich die am Morgen eingetroffene Mail hingegen erst abends, vermeide ich dies. Ich will jetzt natürlich nicht dafür plädieren, seine Kunden hängen zu lassen. Ich sage nur, dass man sich die Frage nach der tatsächlichen Dringlichkeit stellen sollte. Gibt es für eine Aktion nämlich wirklich keinen Aufschub, erhält man oft zusätzlich noch einen Anruf.

Sie empfehlen also, feste E-Mail-Öffnungszeiten einzuführen.

Ja, ich würde den Posteingang etwa zweimal am Tag am Block bearbeiten. Verfolge ich dabei die erwähnten fünf Schritte, benötige ich im Schnitt lediglich eine Minute pro Mail. Bei 20 E-Mails sind das 20 Minuten. Für diese Arbeit kann man sich feste Zeiten im Kalender eintragen oder Leerlaufzeiten nutzen, etwa zwischen Kundenterminen.

Wie stehen Sie zu CC-Mails?

Beraten wir Unternehmen zu diesem Thema, schlagen wir als Spielregel immer vor, dass eine CC-Mail bedeutet: «Du kannst sie lesen, wenn du gerade Zeit hast, musst es aber nicht.» Auf diese Weise kann der Angeschriebene sicher sein, dass er beim Nicht-Lesen nichts Wichtiges verpasst.

Nicht die neuen Techniken, sondern die Neugierde des Menschen ist das Problem

Und welche Taktik empfehlen Sie nach den Ferien, wenn der Posteingang zu explodieren droht?

Da gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen. Sie könnten zum Beispiel während Ihrer Abwesenheit einen Kollegen damit betrauen, Ihre Mails zu sichten. Alle Mails, die nach Ihrer Rückkehr erst mal warten können, verschiebt dieser in ein Unterverzeichnis. Auf diese Weise finden Sie an Ihrem ersten Arbeitstag nach den Ferien nicht 150 E-Mails in der Inbox, sondern nur die 50 wirklich wichtigen. Zwar haben Sie dann auch mehr Arbeit, wenn der betreffende Kollege im Urlaub ist und Sie für ihn diesen Dienst übernehmen; aber unterm Strich ist es eine grosse Entlastung für beide Seiten. Alternativ empfehle ich, als ersten Arbeitstag nach den Ferien immer erst den zweiten Tag anzugeben. So haben Sie an Ihrem tatsächlich ersten Tag erst mal Zeit, in Ruhe klar Schiff in Ihrem Posteingang zu machen.

In Zeiten von Smartphones und Tablets erhalten wir E-Mails zu jeder Tages- und Nachtzeit, sind also ständig erreichbar, was die Gefahr der Selbstausbeutung erhöht. Wie geht man damit um?

Das Problem sehe ich hier nicht in den neuen Techniken, sondern im Menschen und seiner unbändigen Neugierde. Letztere ist nämlich meist grösser als die Forderungen der Arbeitgeber. So kenne ich zig Firmen, die ihren Mitarbeitenden bewusst untersagen, nach Feierabend oder am Wochenende E-Mails zu bearbeiten. Es ist also vor allem eine Frage der Selbstdisziplin, nicht dauernd in den Posteingang zu schauen. Ich empfehle deshalb auch, sämtliche akustischen Signale auszuschalten, die das Eintreffen einer neuen E-Mail ankündigen – sonst kann man kaum widerstehen, doch schnell nachzuschauen. Habe ich es mir wiederum als Chef angewöhnt, auch am Wochenende E-Mails zu bearbeiten, ist es wichtig, meinen Mitarbeitenden zu kommunizieren, dass ich von ihnen keine Reaktion am Wochenende erwarte. Dieses Klarstellen muss sein, damit sich niemand unter Druck gesetzt fühlt.

Zur Person*

Jürgen Kurz, Autor des soeben erschienenen Ratgebers «Für immer aufgeräumt – auch digital. So meistern Sie E-Mail-Flut und Datenchaos» (Gabal, 31,90 Fr.) ist ein Profi innovativer Büro-Organisation und Fachmann für klare Strukturen am Arbeitsplatz. Seit über 20 Jahren leitet er mittelständische Unternehmen und berät Firmen wie BMW oder die SBB. Mehr unter www.fuer-immer-aufgeraeumt.de

Bild: pixelio.de/Stefan Bayer

PS: Warum selber machen, wenn es Profis gibt? etextera unterstützt Sie beim Texten, Gestalten und Umsetzen Ihrer Kommunikationsprojekte. Sprechen Sie mit uns.