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«Die meisten Firmen wirken völlig auswechselbar»

04.06.15

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«Erst wenn ein Unternehmen sich präzise positioniert hat, kann es an seinen Marken und Produkten feilen», sagt Kommunikationswissenschaftler Martin Fritsche*. Weshalb es Mut und manchmal auch unangenehme Entscheidungen braucht, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, erklärt der Spezialist für Positionierungsstrategien im Interview.
Redaktion/Interview: Text- und Übersetzungsagentur etextera

Herr Fritsche, warum ist eine gute Positionierung für Firmen so wichtig?

Unser aller Feind ist die Gleichförmigkeit. Doch nur wenige Unternehmer haben den Mut, zu ihren Kernkompetenzen zu stehen und daraus einen eigenständigen und unverwechselbaren Auftritt abzuleiten. Wer gut positioniert ist, weiss nämlich nicht nur, was zu tun, sondern vor allem auch, was zu lassen ist, um erfolgreich zu sein. Doch die meisten Entscheider orientieren sich am Markt und versuchen Konventionen einzuhalten, statt sie zu durchbrechen. Darum wirken die meisten Firmen völlig auswechselbar – insbesondere im B2B-Bereich. Erst wenn ein Unternehmen aber präzise positioniert ist, kann es an seinen Marken und Produkten feilen.

Vor welchen Herausforderungen steht ein Unternehmen, das sich gut positionieren will?

Es muss vor allem unternehmerisches Selbstbewusstsein beweisen, zu seinen Stärken stehen und entsprechend erfolgsorientiert handeln. Dazu gehört die Konzentration aufs Wesentliche. Einsehen, dass man nicht alles machen kann. Dies bringt jedoch Veränderungen mit sich, die nicht immer sehr beliebt sind. Eventuell muss man überdenken, wie Leute rekrutiert oder ausgebildet werden. Oder sich sogar von Mitarbeitern trennen. Es kann auch sein, dass man Prozesse neu definieren, neue Lieferanten oder Investoren suchen muss.

Ist es heute schwieriger, sich zu positionieren – angesichts schnellem technischen Wandel, Digitalisierung und Globalisierung?

Auf jeden Fall. Auch, weil die Angebote von Unternehmen immer gleichförmiger werden. Die Märkte sind gesättigt. Dort sich zu positionieren, sich zu unterscheiden, wird immer schwieriger – egal in welcher Branche. Hinzu kommt: Unternehmen sind in der Regel operativ absorbiert vom Tagesgeschäft, müssen um Marktanteile kämpfen und sind in Preiskämpfe verwickelt. Da bleibt kaum Zeit, über Positionierung nachzudenken.

Eine gute Idee ist das eine. Ebenso wichtig aber ist eine konsequente Positionierung

Vermutlich ist das auch eher ein Luxus grosser Unternehmen.

Nein, das hat damit gar nichts zu tun. Eher mit innerer Grösse. Eines meiner liebsten Beispiele für eine gelungene Positionierung ist Sky Frame, die Tochter der R&G Metallbau AG. Das Unternehmen hat eine völlig neue Art des grossflächigen, rahmenlosen Schiebefensters ohne Schwelle entwickelt. Anstatt jedoch dieses Produkt als eines von vielen mitzuführen, hat Sky Frame eine eigenständig positionierte Marke daraus gemacht. Innert weniger Jahre hat sich das Unternehmen so die Nische für luxuriöse Schiebefenster erobert. Heute zählt Sky Frame über 100 Mitarbeitende am eigens erbauten Firmensitz in Frauenfeld und hat 2014 den Prix SVC Ostschweiz erhalten. Dieses Beispiel beweist: Die gute Idee ist das eine. Mindestens ebenso wichtig ist aber deren konsequente Positionierung.

Liegt heute die Macht über eine Marke nicht eher bei den Verbrauchern – und nicht mehr allein beim Management?

Tatsächlich machen Konsumenten Marken – und das ist ein Problem. Denn wenn sich eine Marke nicht aktiv am Markt positioniert, wird sie positioniert. Sie verliert ihre Hoheit über Inhalte, über Preis- und Qualitätswahrnehmung und ihre Reputation. Gerade in Zeiten von Multimedia sind die Unternehmen gefordert, die Zügel ihrer Markenpositionierung straffer denn je in den Händen zu halten. Es gilt, weitblickend und konsequent die richtigen Inhalte über die richtigen Kanäle zu den richtigen Interessensgruppen zu spielen. Nur so geniessen die Unternehmen auch dann die Loyalität ihrer Stakeholder, wenn sie sich verändern, Preise erhöhen oder ihr Angebot aktualisieren.

Beobachten Sie, dass Unternehmen Angst vor diesem Kontrollverlust haben?

Ja. Alle reden zum Beispiel ständig von Shitstorms und sehen diese als Bedrohung. Dabei tritt das Phänomen längst nicht so oft auf, wie viele meinen. Sicher ist aber, dass die Anforderungen an Unternehmenskommunikation heute sehr viel komplexer sind.

Früher gab es Zielgruppen – heute sind es Communities

Ist das Social Web Fluch oder Segen für die Positionierung eines Unternehmens?

Ich würde sagen ein Segen. Denn jedes Kommunikationsmedium erleichtert den Kontakt zum Kunden. Der Unterschied ist: Früher konnte man Konsumenten einfach etwas vorsetzen, heute muss man sie überzeugen. Früher haben wir von Zielgruppen gesprochen und so getan, als wüssten wir über sie Bescheid. Heute gibt es Communities, deren Präferenzen wir tatsächlich kennen. Was allerdings auch eine Herausforderung ist, denn Communities müssen gepflegt werden. Vergrault man sie, ist es nicht mehr lustig.

Ist Positioning das neue Marketing?

Manche behaupten das zumindest. Ich denke allerdings eher, wir merken mittlerweile, dass wir mit den gelernten Instrumenten des Marketings nicht weiter kommen. Positioning wird immer wichtiger, weil wir der Marktdynamik reaktiv nicht mehr begegnen können – die Unternehmen müssen lernen, proaktiv auf ihre Märkte einzuwirken.

Sie schwören auf den Elevator Pitch** als Instrument des Positionierungsprozesses. Weshalb?

Der Elevator Pitch ist eines von verschiedenen praktischen Instrumenten, um die Unternehmensidee in der Belegschaft auf den Punkt zu bringen. Das macht einfach Spass. Und ist die halbe Miete. Denn wer die 30-Sekunden-Präsentation beherrscht, erzählt nicht nur, wie gut sein Unternehmen ist, sondern auch, was der Kunde davon hat. Hinzu kommt: Durch das Training eines Elevator Pitch schweissen Sie ganze Teams zusammen. Denn eine Marke ist immer nur so gut wie die Menschen, die sie vertreten. Hat sich ein Managementteam auf einen Elevator Pitch geeinigt, wissen alle, worauf es ankommt. Somit haben Sie eine schlagkräftige Mannschaft, die nicht nur am gleichen Strick zieht, sondern auch in die richtige Richtung. Und zwar volle Kraft voraus. (kri)


Zur Person

*Martin Fritsche ist promovierter Kommunikationswissenschaftler und seit über 20 Jahren in der Praxis. Seit 2014 ist er mit der POSITIONINGS AG am Markt und positioniert sich als Spezialist für die Entwicklung und Umsetzung von Positionierungsstrategien. Sein wichtigstes Instrument für die Entwicklung von Positionierungsstrategien sind integrative Workshops mit ganzen Managementteams, aus denen heraus die Strategien bis zu deren Umsetzung entwickelt werden. www.positionings.ch

** Der Elevator Pitch war ursprünglich eine Idee amerikanischer Vertriebler mit dem Ziel, Kunden und Chefs während der Dauer einer Aufzugfahrt von ihrer Idee zu überzeugen. Weil diese selten länger als 60 Sekunden dauerte, mussten alle relevanten Informationen in dieses Zeitfenster passen: Kurzvorstellung, Begeisterung für das Projekt wecken und den Auftrag an Land ziehen oder den vielbeschäftigten Chef überzeugen. Die Idee war allerdings nach kurzer Zeit schon so erfolgreich, dass der Elevator Pitch zum geflügelten Wort wurde und noch heute genutzt wird.
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