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«Das Persönlichkeitsrecht im Internet lässt sich durchsetzen – aber es ist aufwändig»

12.02.15

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Medienrechtsanwalt Andreas Meili* über Medienethik in Redaktionsstuben, peinliche Partyfotos im Internet und seine Doppelrolle als Journalistenausbildner und –ankläger.


Redaktion/Interview: Text- und Übersetzungsagentur etextera

Herr Meili, können Sie sich noch an Ihren ersten Medienrechtsfall erinnern?

Das muss 1989/90 gewesen sein. Einem Wirtschaftsanwalt und Ehemann einer Bundesrätin wurde von einem Boulevardmedium vorgeworfen, er agiere im Auftrag der CIA und unterstütze diese bei illegalen Waffengeschäften. Ich vertrat ihn, und wir legten rechtliche Schritte gegen das Medium ein.

Sie spielen auf den Fall Kopp an. Das ist 25 Jahre her. Was hat sich seither geändert?

Vor 25 Jahren gab es noch keine Onlinemedien. Zeitungsberichte landeten nach der Veröffentlichung rasch im Altpapier und gerieten wieder in Vergessenheit. Mit der Digitalisierung und der schnellen und einfachen Weiterverbreitung im Internet hingegen sind Berichte heute rund um die Uhr überall verfügbar. Von zweifelhafter Natur sind Drohnen mit Kameras, mit denen sich in den Privatbereich von Personen eindringen lässt. Aber auch mit Smartphones lassen sich Gespräche aufnehmen, ohne dass es das Gegenüber erkennt. Die so gewonnenen Bilder und Töne können schnell über Soziale Netzwerke verbreitet werden. Früher sprach man von Kampagnenjournalismus, wenn ein Titel zwei oder dreimal Artikel zum selben Thema publizierte. Heute besteht die Gefahr von Shitstorms im Internet, die jederzeit und von überall her in viel grösseren Dimensionen losbrechen können.

Vor der Einstellung eines neuen Mitarbeiters wird erstmal gegoogelt

Wie steht es um das Persönlichkeitsrecht im Internet – kann man das durchsetzen? Oder muss man damit leben, dass peinliche Partyfotos, die ins Netz gestellt wurden, vom zukünftigen Chef ergoogelt werden können?

Das Persönlichkeitsrecht im Internet durchzusetzen ist schwierig und aufwändig – aber nicht unmöglich. In Deutschland ist das ja der Ex-Präsidentengattin Bettina Wulff mit Google gelungen. Der Suchmaschinenbetreiber musste Einträge zu ihr aus seinem Index löschen, die im Zusammenhang mit rechtswidrigen Tatsachenbehauptungen zu Frau Wulffs Vergangenheit standen. Solche Putzaktionen, wie wir es nennen, kann man machen. Trotzdem wird es immer wieder passieren. Wer heute jemanden einstellen will, googelt vorher die Person erstmal aus. Erscheint diese dann prominent auf Position eins bis neun auf der Ergebnisliste, kann das hinderlich sein. Entweder geht man dann als Betroffener gegen die Suchmaschine vor, die an persönlichkeitsverletzenden Inhalten beteiligt ist – denn indem diese auf solche verweist, erleichtert die Suchmaschine den Zugang zu den Inhalten und ist somit mitverantwortlich. Oder man versucht es über die Autocomplete-Funktion, wie Bettina Wulff es getan hat. Dies alles ist im Einzelfall aufwändig – aber nicht unmöglich.

Medienethik ist wichtiger denn je

Sie sind Anwalt von Geri Müller. Spielen Fragen der Medienethik Ihrer Einschätzung nach heute im Redaktionsalltag eine grosse Rolle?

Medienethik ist wichtiger denn je. Allerdings berichten Onlinemedien im Gegensatz zu Zeitungen in Echt-Zeit. Woraus resultiert, dass Personen, über die in Onlinemedien berichtet wird, oft eine zu kurze Reaktionszeit für ihr rechtliches Gehör erhalten – wozu Medien wiederum verpflichtet sind. Der Presserat veranschlagt dafür mindestens einen halben Werktag – was schon recht kurz ist. Häufig wird allerdings überhaupt kein Gehör geschenkt, sondern einfach berichtet. Das wiederum ist eine bedenkliche Entwicklung, die eindeutig zugenommen hat. Klassische Medien hatten da früher mehr Zeit, Stellungnahmen einzuholen und vertiefte Recherchen zu manchmal komplexen Sachverhalten durchzuführen.

Profitiert ein Journalist von Medienrechtskenntnissen oder engen sie ihn ein?

Ich bilde selbst Journalisten am MAZ aus und bin der Auffassung, diese sollten wissen, was sie tun dürfen – aber auch, was für Verpflichtungen sie haben. Zur Professionalisierung der Berufsgattung gehören einfach Kenntnisse des Medienrechts. Natürlich sollen hier keine Juristen ausgebildet werden. Stattdessen geht es darum, ein Sensorium zu entwickeln, um nicht in Rechtsprobleme zu geraten. Also abschätzen zu lernen, in welchen Situationen man besser geeignete Leute hinzuzieht, die vielleicht mehr Erfahrung oder Spezialkenntnisse haben – etwa den Vorgesetzten oder den Rechtsdienst des eigenen Medienhauses.

Nachholbedarf bei Onlinemedien

Wissen Journalisten heute um ihre Rechte und Pflichten?

Einerseits ja – zumindest diejenigen mit professioneller Berufsausbildung. Nachholbedarf im Vergleich zu etablierten Tageszeitungen gibt es allerdings im Onlinejournalismus. Ich spreche jetzt nicht von den grossen Nachrichtenseiten, die über gut dotierte Redaktionen mit erfahrenen Journalisten verfügen. Aber dort, wo hauptsächlich junge Leute und wenig Erfahrene im Einsatz sind und wo viel Zeitdruck herrscht, ist die Situation verbesserungsfähig.

Sie bilden einerseits Journalisten aus und verklagen sie andererseits. Wie ist dieser Spagat zu schaffen?

Ich vertrete auch viele Journalisten in Rechtsstreitigkeiten und war elf Jahre bei Tamedia, unter anderem Leiter des Rechtsdienstes – das heisst, ich bin mit beiden Seiten vertraut. Ich finde es geradezu wichtig, als Anwalt beide Positionen gut zu kennen – auch um Klienten optimal beraten zu können. Wenn zum Beispiel ein Strafrechtler nur mit der Opfer- oder Täterseite zu tun hat und nichts über die Denk- und Arbeitsweise des Justizapparates weiss, halte ich das für suboptimal. (kri)


Zur Person:

*Dr. Andreas Meili war von 1996 bis 2002 Leiter des Konzernrechtsdienstes der Tamedia AG. Von 2002 bis 2007 leitete er die Elektronischen Medien der Tamedia AG und war Mitglied der Unternehmensleitung. Seit 2008 ist er als selbständiger Medienanwalt in Zürich tätig und unterrichtet Medienrecht am MAZ.

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