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«Handys gezielt im Unterricht einzusetzen, macht Sinn»

08.12.14

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Ein Handy für das Kind als Weihnachtsgeschenk? Medienpädagoge und Sozialinformatiker Roland Wittwer* über Einstiegsalter, Familienhandys und weshalb sich Schulen überlegen sollten, Mobiltelefone im Unterricht zu verwenden.


Redaktion/Interview: Text- und Übersetzungsagentur etextera

Herr Wittwer, ein Handy als Weihnachtsgeschenk für eine Elfjährige – ist das eine gute Idee?

Generell kommt das sehr auf das Kind, dessen Kompetenzen und den Familienkontext an. Aber bei den 12- bis 13-Jährigen besitzen heute immerhin über 90 Prozent bereits ein Handy, da steigt der Gruppendruck natürlich. Man könnte es zunächst auch mit einem Familienhandy versuchen, das sich Kinder immer mal wieder ausleihen dürfen. Damit können sie erste Schritte wagen, bevor es ein eigenes gibt. Ab Ende Mittelstufe kommt man als Eltern dann allerdings fast nicht umhin, dem Wunsch nach Zugehörigkeit nachzugeben. Wie die aktuelle JAMES-Studie zeigt, besitzen von den 12- bis 19-Jährigen in der Schweiz 95 Prozent ein Smartphone und drei Prozent ein Handy.

Was sollte man zuvor mit Kindern besprechen?

Wie oft darf das Gerät genutzt werden? Zu welchem Zweck? Und dann muss man sich natürlich auch noch zwischen Prepaid und Abonnement entscheiden. Ersteres bietet den Vorteil, dass man die Kosten gut im Griff hat – was vor allem bei jüngeren Kindern und Einsteigern Sinn macht. Später, wenn man sieht, dass der Nachwuchs Verantwortung übernehmen kann, lohnt es sich, zum Abo zu wechseln. Ab 13 haben sie ja ohnehin meist Smartphones mit Internetverbindung. Dann ist ein günstiger Vertrag besser, mit dem sie oft surfen können. Der Vorteil: Bei Abos haben Eltern Dank der Abrechnung eine Kontrolle über die gewählten Nummern. Eine Kontrolle über die Kosten ist dann allerdings schwieriger.

Kinder und Jugendliche müssen lernen, Inhalte kritisch zu hinterfragen

Mit zunehmenden Funktionen des Handys steigt aber auch das Risiko – etwa was den Konsum von Sex- und Gewaltfilmen angeht.

Das stimmt, zunehmendes Alter bedeutet zunehmendes Risiko. Aber gleichzeitig steigt auch die Medienkompetenz, weil Jugendliche bis dahin bereits viel Erfahrung mit dem Medium gesammelt haben. Ich finde es wichtig, das Gerät nicht zu verteufeln, zu verbieten oder gar Dienste zu sperren – auch wenn Letzteres vielleicht bei jüngeren Kindern Sinn machen kann. Generell aber sollten Kinder und Jugendliche lernen, Inhalte kritisch zu hinterfragen. Verschicken sie beispielsweise Fotos von sich via WhatsApp muss ihnen bewusst sein, dass die Verbreitung dann nicht mehr gestoppt werden kann. Dieser Umstand muss ihnen bereits bei der Produktion von Selfies klar sein.

Haben Eltern beim Internet zu Hause noch gewisse soziale Kontrollmittel, gibt es beim Handy oft keine Handhabe mehr. Was kann man als Eltern tun?

Das sehe ich nicht so. Die soziale Kontrolle ist beim Internet nicht grösser; Jugendliche surfen zum Teil stundenlang in ihren Zimmern. Aber auch hier bin ich gegen restriktives Vorgehen und Verteufeln. Geht es zum Beispiel ums Gamen, mache ich immer wieder gute Erfahrungen, wenn Eltern mal zusammen mit ihren Kindern spielen, mit ihnen darüber reden. Und so vor allem selbst erfahren, was das Spiel so spannend macht und weshalb es so schwierig ist, zu unterbrechen und zum Nachtessen zu kommen. Aber natürlich: Unsere Kinder sind so genannte «digital natives», die ganz selbstverständlich mit den neuen Technologien aufwachsen. Während wir als «digital immigrants» uns alles mühsam erarbeiten müssen.

Und deshalb kein Verständnis für die «digital natives» haben?

Naja, eine gewisse Kluft ist nicht zu leugnen. Die einen brauchen ewig, um sich nur einen Facebook-Account einzurichten. Die anderen gehen damit vielleicht ein wenig zu unbekümmert um, weil es ihnen noch an Lebenserfahrung fehlt um abschätzen zu können, wieviel man von sich Preis gibt.

Medienkompetenz als Schulthema

Sie haben lange Handy-Workshops für Schulklassen gegeben und sind heute u.a. in der Lehrerfortbildung tätig. Was sind aktuell die Themen Ihrer Workshops und Referate?

Momentan dreht sich bei mir viel um das Thema Handys im Kontext von Schule. Bei den meisten sind diese zwar noch komplett verboten, aber es gibt mittlerweile auch Schulen, die überlegen, wie man Handys gezielt im Unterricht einsetzen könnte. Was durchaus Sinn macht. Schliesslich gibt es gute Lehrmittel als Apps. Ausserdem sind Handys auch als Übersetzer, Taschenrechner oder Fotoapparat verwendbar. Mit einer Sekundarschule am Bodensee bin ich konkret dabei, so ein Projekt umzusetzen. Wir stehen allerdings noch ganz am Anfang. Nach den Schulungen für Lehrpersonen geht es zunächst darum, die Schüler zu sensibilisieren und Elternabende durchzuführen.

Und die betreffenden Schüler verfügen alle über Handys?

Ja, das ist das kleinste Problem, wie eine erste Umfrage gezeigt hat. Für die wenigen, die keines besitzen, könnte man überlegen, ein Schulhandy anzuschaffen oder zwei Schüler an einem Gerät arbeiten zu lassen. Generell ist es sehr zu begrüssen, wenn sich Schulen, dem Thema Medienkompetenz in einer zeitgemässen Form widmen. Bis vor kurzem bestand dies meist einzig darin, Word und Excel zu unterrichten – weil die Lehrpläne teilweise noch aus den 80er Jahren stammten. Aber nun wurde ja der Lehrplan 21 verabschiedet, und darin ist Medienkompetenz besser gewichtet – zumindest in der Theorie. Wie die Umsetzung ist, wird sich noch zeigen.


Zur Person:

*Roland Wittwer ist Sozialinformatiker und Medienpädagoge. Für Pro Juventute leitete er lange die «Handyprofi»-Workshops für Schulklassen. Heute bietet er unter anderem medienpädagogische Schulungen für Lehr- und Fachpersonen sowie Referate zum konstruktiven Umgang und reflektierten Nutzung von Smartphones, Tablet-Computern, an: www.imedio.ch. Zudem betrieb er einen Blog: www.medienerziehung.ch. 

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