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«Hochwertiger Journalismus lässt sich nur bedingt an Bezahlmodelle koppeln»

25.09.14

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Wie lange wird es Tageszeitungen noch geben? Und welche Inhalte wollen Leser im Internet überhaupt bezahlen? Stephan Weichert*, Hamburger Journalistik-Professor und Experte für digitalen Journalismus über teure, investigative Recherchen und neue Finanzierungsmodelle.


Redaktion/Interview: Text- und Übersetzungsagentur etextera

Herr Weichert, die neuesten Leserzahlen, die in der Schweiz gerade veröffentlicht wurden, zeigen einmal mehr, dass insbesondere überregionale Tageszeitungen massiv Leser verlieren. Wie lange geben Sie dem klassischen Tageszeitungsjournalismus noch?

In den USA haben Medienwissenschaftler schon vor Jahren exakte Todesdaten für die Tageszeitung vorhergesagt – aber das war nie empirisch belegte Thesen. Vor etwa fünf Jahren, als im deutschsprachigen Raum diese Debatte ebenfalls losging, kam die Studie «Das Verschwinden der Zeitung?» dazu von Leif Kramp und mir heraus. Damals wurden diese Vorboten der Pressekrise noch belächelt – vor allem, weil die Situation der Tagespresse als relativ stabil und krisenresistent eingeschätzt wurde. Nachdem aber dieser Tage auch überregionale Qualitätszeitungen wie die FAZ erkennbare finanzielle Schwierigkeiten haben und ankündigen, in hoher Zahl Stellen zu streichen, scherzt niemand mehr darüber – zu dramatisch ist die Situation inzwischen auch in Deutschland. Ich beteilige mich ungern an Spekulationen, aber wenn es so weitergeht, werden wir in weniger als fünf Jahren ganz erheblich weniger Tageszeitungen haben als heute. Die Herausforderung ist, wie die Zeitungen ihre starken Medienmarken ins Digitale transformieren.

Bei Diskussionen um das Zeitungssterben, wirft – zumindest in Deutschland – früher oder später jemand das Schlagwort «Rieplsches Gesetz» in die Runde. Worauf alle erleichtert nicken. Die These des deutschen Journalisten Wolfgang Riepl besagt, dass kein Medium ein anderes zu verdrängen vermag. Gilt diese Annahme von 1913 tatsächlich heute noch?

In meinem Buch «Digitale Mediapolis» habe schon vor ein paar Jahren die Gegenthese aufgestellt: «Riepl ist tot – toter geht’s nicht.» Denn alles, was mit der digitalen Kommunikationsökologie zu tun hat, hat eine völlig andere Dimension als die der analogen Medien. So werden sämtliche bisherigen Medien durch das Internet buchstäblich aufgesogen und vereinnahmt. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, dass wir in ein paar Jahren keine Druckerzeugnisse  mehr konsumieren und kein Programmfernsehen mehr schauen.

Ein Grossteil der Tageszeitungen ist überaltert

Sollten wir uns für einmal freuen, dass wir in einer überalterten Gesellschaft leben – weil so traditionelle Medien vermutlich noch ein paar Jahre mehr vor sich haben?

Ob wir uns darüber freuen sollten, weiss ich nicht. Aber ohne den demographischen Wandel sähe es wohl noch sehr viel schlechter für die Nutzung der Zeitungen aus. Ein Grossteil der Tageszeitungsleser ist heute überaltert – auch weil 15- bis 25-Jährige in der Regel gar keine Tageszeitung mehr lesen, selbst Gratisblätter werden kaum noch zur Hand genommen. Jugendliche wurden schlicht nicht an diese Lesekultur herangeführt und können folglich auch wenig damit anfangen. Die Art und Weise, wie junge Menschen heute kommunizieren und an für sie relevante Informationen kommen, ist radikal anders. Tageszeitungsjournalismus ist auch deshalb obsolet geworden, weil man die meisten Menschen heute auf diese Weise nicht mehr aktuell informieren kann; digital ist nun mal viel dynamischer. Was hingegen nach wie vor eine Relevanz für gedruckte Medien hat, ist der hintergründige Journalismus, also längere Geschichten mit viel Tiefgang.

Die Zukunft der Zeitung – wenn sie denn eine hat — liegt also eher im professionellen Zusammenführen der versprengten Informationen aus dem Internet. Im Analysieren, hintergründigen Einordnen und Bewerten. Welches sind die Stärken des digitalen Journalismus?

Da gibt es viele, und deren Potenzial ist noch nicht einmal annähernd ausgeschöpft. Die Multimedialität natürlich – also die Möglichkeit, Infos sowohl als Text, als auch als Audio in Verbindung mit Bildern und Bewegtbildern auszuspielen, genauso wie Daten und interaktive Grafiken. Zudem verleitet digitaler Journalismus zum spielerischen Umgang mit journalistischen Inhalten – dieser Trend zeigt sich deutlich an neuen Genres wie «Newsgames» und auch im Datenjournalismus. Diese Tiefe an datenbasierten Informationen birgt ebenso wie der Dialog mit dem Nutzer ein enormes Potential. Aber gleichzeitig auch das Risiko der Überfrachtung. So geht man mittlerweile eher wieder weg vom Spielerischen – viele Nutzer wollen offenbar den «Spiegel» nicht mit drei oder vier Ebenen dahinter lesen, sondern oft nur den Text.

Weshalb sich Journalismus nicht von der Lesergunst abhängig machen darf

Inwiefern muss sich Journalismus also verändern?

Journalismus verändert sich ganz ohne unser Zutun – ob wir das wollen oder nicht. Die Frage ist eher, inwiefern wir Journalisten diese Entwicklung steuern können, und in welche Richtung. Am wichtigsten erscheint mir, dass ein Journalist neben aller Begeisterung für Innovation und Technik sein Berufsethos nicht vergisst: Die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, Qualität zu liefern und eine Kontrollfunktion gegenüber den Mächtigen aus Politik und Wirtschaft auszuüben. Zum Beispiel die Expansionsstrategien der Internetkonzerne hinterfragen – wie etwa Google und Facebook, wo wir unsere Infos preisgeben – oder die der Geheimdienste, die uns ausspähen. Gerade heute, wo sich eine neue Form der Überwachungsgesellschaft herausbildet, tragen Journalisten eine unglaublich grosse Verantwortung und müssen ein kritisches Bewusstsein an den Tag legen. Das alles klingt wie ein altmodischer Appell – kommt aber nie aus der Mode.

Die entscheidende Frage dabei bleibt: Sind Leser bereit, für journalistische Leistungen zu bezahlen?

Wir sollten uns hier nichts vormachen: Die Bereitschaft, zu bezahlen wird immer nur zum Teil zu stimulieren sein – etwa, wenn es um Spiele geht, Service, Pornografie oder Gossip, dann ist diese Bereitschaft vorhanden. Aber bei investigativem Journalismus, der viel Geld kostet, und wo zunächst nicht klar ist, was bei der Recherche heraus kommt, wage ich zu bezweifeln, dass dies funktioniert. Aus diesem Grund darf man sich von der Lesergunst nicht zu viel versprechen. Schon allein, weil es für den durchschnittlichen Leser kaum erkennbar ist, welche Beiträge gekaufte PR sind und welche auf sauber recherchiertem Journalismus fussen. Hochwertiger Journalismus lässt sich meiner Meinung nach daher nur bedingt an Bezahlmodelle koppeln.

Investigative Recherche im Netz – finanziert von Stiftungen

Wie lautet dann der Ausweg?

Ich sehe in Stiftungen eine Möglichkeit, Qualitätsjournalismus langfristig zu finanzieren. Im deutschsprachigen Raum kennt man Stiftungen vor allem im Zusammenhang mit Gesundheits-, Kultur- oder Bildungsthemen. In den USA hingegen, wo die Krise im Journalismus früher einsetzte als bei uns, gibt es bereits auch stiftungsfinanzierte Redaktionen, weil man hier Journalismus zunehmend als öffentliches Kulturgut betrachtet, das auch öffentlich finanziert werden muss. In US-Redaktionen wie «Pro Publica» oder dem Center for Investigative Reporting recherchieren Journalisten zu gesellschaftlich relevanten Themen und veröffentlichen ihre Texte anschliessend kostenlos und für Jedermann verfügbar im Internet – dies ist dann gemeinnütziger Journalismus im öffentlichen Interesse. Finanziert werden diese Imitativen grösstenteils von Stiftungen, Mäzenen und Kleinspendern. In Deutschland hat sich analog zu «Pro Publica» erst kürzlich das Investigativbüro Correc!v (sprich: korrektiv) gegründet. Ausserdem gibt es neue Finanzierungsansätze wie die Krautreporter, eine Plattform für Qualitätsjournalismus, die per Crowdfunding-Kampagne mehr als 900‘000 Euro sammelte, mit denen sie zunächst für ein Jahr ein werbefreies Onlinemagazin auf die Beine stellt, das im Oktober startet. Dies alles sind innovative Modelle, von denen ich mir weitere Nachahmer erhoffe.

Zur Person:

*Dr. Stephan Weichert lehrt als Professor für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in Hamburg und leitet den berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiengang «Digital Journalism» (Executive Master of Arts in Journalism) an der Hamburg Media School. Weichert ist Gründungsherausgeber des Debattenportals VOCER und Direktor des VOCER Innovation Medialab, einem Fellowship-Programm für Nachwuchsjournalisten. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem: Digitaler Journalismus, Strukturwandel der Öffentlichkeit, Qualitätsjournalismus und Prestige-Presse, Innovationen im Journalismus, sowie Medienpolitik und politische Kommunikation.
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