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«Firmen müssen lernen, damit umzugehen, dass die ersten Bilder und Kommentare im Netz sind, bevor die Unternehmenskommunikation agieren kann»

12.06.14

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Wie beeinflussen digitale Medien und Social Media die Kommunikation von Unternehmen? Und inwiefern haben sich die Erwartungen an einen Kommunikationschef geändert? Markus Niederhäuser*, Leiter Weiterbildung am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW, weiss Antwort.
Redaktion/Interview: Text- und Übersetzungsagentur etextera

Herr Niederhäuser, dank digitalen Medien und Social Media verbreiten sich Themen heute schneller in der Öffentlichkeit, als man schauen kann. Schaffen es Unternehmen überhaupt noch, selbst zu bestimmen, was sie wann bekannt geben wollen?

Bei vielen Themen können die Unternehmen den Zeitpunkt der Veröffentlichung immer noch selber bestimmen, etwa bei der Bekanntgabe einer Umstrukturierung. Sie müssen aber damit umgehen lernen, dass bei vielen Ereignissen – zum Beispiel bei einem grösseren Unfall – die ersten Bilder und Kommentare im Netz sind, bevor die Unternehmenskommunikation agieren kann. Dies gilt es auszuhalten. Schnelligkeit ist aber sicher zu einem wichtigen Kriterium in der Kommunikationsarbeit von Unternehmen geworden.

Was sind die aktuellen Herausforderungen und Trends in der Kommunikationsbranche?

In einer aktuellen Befragung von Kommunikationsprofis in der Schweiz zeigten sich drei Trends:  Erstens schreitet die Digitalisierung der Kommunikation weiter voran. So gibt es immer mehr mobile Applikationen, über welche Unternehmen ihre Bezugsgruppen zu erreichen suchen. Zweitens eskalieren Themen, wie gerade schon gesagt, immer schneller – was wiederum eine Folge der Digitalisierung ist. Das heisst, Unternehmen müssen frühzeitig Themen beobachten, um schnell kommunikativ handeln zu können, bevor es andere tun. Und drittens hat der rasante Wandel im Journalismus Folgen für die Medienarbeit. Denn Qualitäts- und damit Glaubwürdigkeitsverluste bei den Medien schlagen auch negativ auf die Unternehmen zurück. Sie müssen sich also überlegen, welche Bedeutung die klassische Medienarbeit noch hat.

Der Stammtisch von früher findet heute im Netz statt

Früher musste ein Unternehmenssprecher lediglich den Kontakt zu den wichtigsten Journalisten pflegen und alles war in Ordnung. Heute hat sich die Zahl der Multiplikatoren vervielfacht. Ein Tweet oder Foto zum richtigen Zeitpunkt kann die Nachrichten für die nächsten Stunden dominieren. Wie haben Social Media die öffentliche Kommunikation verändert?

Betrachtet man öffentliche Kommunikation als primär medienvermittelte Kommunikation, können wir feststellen, dass das öffentliche Verhandeln von Themen sowie die Reputationsbildung für Unternehmen nach wie vor stark in den klassischen Medien geschehen. Social Media jedoch haben vielfältige digitale Kommunikationsräume geschaffen, in denen von privaten und beruflichen Communities Themen eingebracht, diskutiert und skandalisiert werden. Die spannendsten, skandalösesten oder emotionalsten Geschichten aus diesem sogenannten vormedialen Raum schaffen es dann an die breite Öffentlichkeit. Der Stammtisch von früher findet heute im Netz statt.

Was heisst das für die Unternehmenskommunikation?

Sie kann sich den Social Media nicht entziehen. Zumindest beobachtend muss sie dabei sein – um etwa zu erfahren, was auf anderen Plattformen über das Unternehmen geschrieben wird.

Was können Social Media in diesem Zusammenhang, und was nützen sie?

Aus Unternehmenssicht haben Social Media zwei Grundfunktionen: Einerseits erlauben sie eine vertiefte Themenbeobachtung. Durch ein systematisches Monitoring dieser neuen Kommunikationsräume kann das Unternehmen relevante Themen frühzeitig erkennen und entsprechende Handlungs- und Kommunikationsstrategien ableiten. Andererseits sind Social Media geeignete Plattformen, um mit Bezugsgruppen in Dialog zu treten. Für Unternehmen ist dies eine grosse Chance, um Nähe zu Kunden und anderen Bezugsgruppen zu schaffen. Gleichzeitig birgt das natürlich auch Risiken: Schaffe ich eine Plattform, kann dort auch Kritik geäussert werden, bis hin zu einem ausgewachsenen «Shitstorm». Wobei dies natürlich auch auf fremden Plattformen stattfinden kann. Früher wurden Unternehmen zwar auch angegriffen, heute geht dies jedoch viel schneller und man kann es vor allem leichter mitmachen – vom Sofa aus mit einem Click, sozusagen.

Für Social Media müssen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden

Wie bewerten Sie folgende Aussage: «Hat ein Unternehmen heute kein Facebook-Account, ist es so, als hätte es kein Telefon»?

Unternehmen wollen mit ihren Bezugsgruppen im Dialog stehen. Welche Kommunikationsmittel die richtigen sind, um Kommunikationsprozesse zwischen Unternehmen und Kunden zu steuern, hängt von der Unternehmensstrategie und der daraus abgeleiteten Kommunikationsstrategie ab. Ein Facebook-Auftritt ist dabei nicht für jedes Unternehmen zwingend. Denkbar ist übrigens auch ein Unternehmen, welches auf das Telefon verzichtet, das nur online erreichbar sein will. Richtig ist sicher, dass die Bezugsgruppen heute erwarten, ein Unternehmen über möglichst viele Kanäle erreichen zu können.

Dabei reicht es jedoch nicht, als Unternehmen auf Social Media-Plattformen ab und zu eine Meldung zu posten. Stattdessen brauchen diese neuen Kanäle Interaktion und müssen kontinuierlich gepflegt werden.

Richtig, das ist ein grosser Schritt – den ein Unternehmen komplett gehen muss und nicht nur halb. Dafür müssen die nötigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, sonst wird das nichts. Und das unterschätzen viele. Zudem ist es nicht einfach, einen wirklichen Dialog zu führen; dies fällt gerade Unternehmen oft noch schwer. Bisher versuchen sie häufig, mit Wettbewerben oder anderen Mitmachaktionen die Community zu aktivieren, was zum Teil etwas bemühend wirkt.

Inwiefern haben sich die Erwartungen der Manager und Mitarbeitenden an den Kommunikationschef geändert?

Die Aufgabe des Kommunikationschefs ist sicher komplexer geworden und damit anspruchsvoller – was sich auch in unseren Weiterbildungskursen zeigt, die wir für Kommunikationsprofis anbieten. Als Kommunikationsleiter wird heute eine Person erwartet, die mindestens drei Rollen beherrscht: Erstens managt sie den unternehmerischen Teilprozess Kommunikation, analysiert, plant, setzt um und evaluiert die Kommunikationsprozesse des Unternehmens – dies ist die klassische Rolle eines Kommunikators. Dann ist der Kommunikationschef zweitens aber auch beratend tätig: Er unterstützt zum Beispiel den CEO bei der Lösung von Kommunikationsproblemen. Das Bewusstsein für diese Beratungstätigkeit muss noch geschärft werden. Und drittens führt der Kommunikationschef: die eigenen Mitarbeitenden, Projektteams, Agenturen, aber auch die Vorgesetzten. Vor dem Hintergrund der eingangs beschriebenen Trends darf man durchaus von einer sehr herausfordernden Tätigkeit sprechen.

 Wer nicht schnell kommunikativ agiert, verliert die Deutungshoheit über Ereignisse

Welche Qualifikationen muss ein Unternehmenssprecher heute im Vergleich zu früher mitbringen?

Klassischerweise verfügte der Unternehmenssprecher über journalistische Kompetenzen und ein gutes Beziehungsnetz im Mediensystem. Dies ist nach wie vor wichtig. Heute wird allerdings vom Mediensprecher erwartet, dass er seine exklusive Beziehung zu den Journalisten erweitert: Er soll etwa auch in den Social Media aktiv sein, zum Beispiel auf Twitter. Ausserdem hat sich die Reaktions-geschwindigkeit noch einmal erhöht: Wer etwa in einer Krise nicht in der Lage ist, innert kürzester Zeit kommunikativ zu agieren, verliert die Deutungshoheit über die Ereignisse. Dies alles verlangt nach zusätzlichen Kompetenzen.

Die Medienarbeit des klassischen Pressesprechers hingegen macht also nur noch einen kleinen Teil der Aufgaben aus?

Ja. Dieses Bewusstsein muss allerdings bei vielen CEOs erst noch reifen. Oft wird bei Stellenbesetzungen vor allem nach einem bewährten Journalisten gesucht, der ein grosses Beziehungsnetz mitbringt. Dies allein greift jedoch zu kurz, stattdessen braucht es auch Management- und Führungskenntnisse.

 Und welches Profil hat der Kommunikationsspezialist der Zukunft?

Sie sagen es richtig: Er ist zuerst einmal Spezialist. Die Ausdifferenzierung des Berufsfelds in unterschiedliche Tätigkeiten mit je eigenen Profilen schreitet voran. Der klassische Mediensprecher, die Redaktorin der Kundenzeitschrift oder der Social-Media-Manager sind hoch spezialisierte Tätigkeiten. Gleichzeitig wird es jedoch immer wichtiger, dass auch die einzelnen Spezialisten das Gesamtbild im Auge behalten. Das heisst, sie müssen ein hohes Verständnis dafür haben, wie sich ihre Tätigkeit in die Unternehmens- und Kommunikationsstrategie einfügt. Damit bei den Bezugsgruppen ein einheitliches Bild des Unternehmens entsteht, müssen alle spezialisierten Kommunikatoren wissen, welches Image sie generieren wollen. (Bild: Manuel Bauer)


Zur Person:

*Markus Niederhäuser ist Leiter Weiterbildung am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW und verantwortet unter anderem einen Weiterbildungsmaster, den MAS in Communication Management and Leadership. Zuvor leitete er die Unternehmenskommunikation des Sulzer-Konzerns.
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