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«Marketingleute müssen umdenken»

17.03.16

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Mündliche Produktempfehlungen machen 90 Prozent der Kaufentscheide aus – Berater und Coach Mark Leinemann* erzählt, weshalb so genanntes Word-of-Mouth (WOM) in die Marketingstrategie jedes Unternehmens gehört.


Redaktion/Interview: Text- und Übersetzungsagentur etextera

Herr Leinemann, Produktempfehlungen von Freunden und Bekannten gelten als deutlich glaubwürdiger im Vergleich zu klassischer Werbung oder PR. Was heisst dies für Marketingkampagnen?

Tatsächlich werden mündliche Produktempfehlungen, so genanntes Word-of-Mouth (WOM), als besonders glaubwürdig wahrgenommen. Das gilt auch beim Online-Kauf: Zwar unternimmt der Konsument im Internet oft eine Vorfilterung, bevor er eine Kaufentscheidung trifft, liest Testberichte und sucht gezielt nach Bewertungen, wie etwa auf Amazon. Anschliessend – und das ist meist ausschlaggebend – befragt er aber noch zwei bis drei Personen aus seinem Freundeskreis offline. Wie man aus Touchpoint-Studien weiss – etwa von Accelerom in der Schweiz – sind diese Offline-Empfehlungen meist entscheidend.

Online-Empfehlungen haben also gar nicht so eine grosse Bedeutung?

Der Ruf von Online-Empfehlungen war schon besser. Es kommt natürlich auch auf das Produkt an. Wollen Sie ein Buch kaufen, lassen Sie sich vielleicht eher von Online-Bewertungen beeinflussen. Geht es aber um die Anschaffung eines Autos, vertrauen Sie bei der letzten Entscheidungshilfe eher Ihren Freunden. Insgesamt machen Offline-Empfehlungen 90 Prozent aller Word-of-Mouth aus, Online-Empfehlungen hingegen nur 10 Prozent. Letztere werden also völlig zu Unrecht gehypt.

Nicht vom Social Media Hype blenden lassen

Was bedeutet dies für Unternehmen?

Sie sollten sich vom Online- und Social-Media-Hype in punkto Word-of-Mouth nicht blenden lassen. Online ist zwar ein wichtiger, aber nicht der grösste Teil unseres Lebens. Insbesondere jüngere Leute vertrauen immer weniger Online-Bewertungen – weil sie wissen, dass es hier auch gefälschte Bewertungen gibt. Leider lassen sich immer noch genug Firmen von der schnellen Aussicht auf Jubelbewertungen im Internet treiben und bieten Konsumenten finanzielle Anreize, solche zu schreiben. Dadurch verliert das Ganze noch schneller an Glaubwürdigkeit.

Wie bringt ein Unternehmen seine Kunden dazu, Produkte mündlich weiter zu empfehlen?

Das fängt mit dem Produkt selbst an: Dieses muss wirklich gut sein, es darf kein negatives Erlebnis geben. Ausserdem braucht es einen Wow-Effekt: Es gilt, den Kunden zu überraschen, ihm einen Mehrwert zu bieten. Ein Hotel findet zum Beispiel heraus, dass die Sofas in den Hotelzimmern nicht genutzt werden. Daraufhin lässt es diese durch Fitnessgeräte ersetzen. Der Konsument ist begeistert: Er kann nun morgens im Schlafanzug trainieren und muss nicht mehr runter in den Fitnessraum. Ein echter Mehrwert! Oder eine Marke lädt Konsumenten zur Zusammenarbeit ein, um mit ihnen neue Produktideen zu entwickeln. Migros macht dies zum Beispiel mit Migipedia. Kann ich als Konsument an solch einem Mitmach-Programm teilnehmen, fühle ich mich wertgeschätzt und ernst genommen. Dann kommt Liebe – und damit Empfehlungen – zurück. Denn über das, was ich gern habe, spreche ich auch gerne.

Unternehmen sollten also auf die Liebe des Konsumenten setzten anstatt auf sein Geld?

Genau darum geht es! Unternehmen müssten sich dringend vom alten Marketingansatz verabschieden, bei dem es nur darum geht, dass der Kunde für sein Geld ein Produkt erhält – also den reinen Konsum. Wird dem Konsument als gleichwertigem Partner der Marke hingegen Wertschätzung entgegen gebracht, steigt sein Involvement, und er kann ein Produkt besser und authentischer weiter empfehlen.

Die richtigen Leute als Botschafter für Produkte gewinnen

Was braucht es, um Kundenempfehlungen zu generieren?

Es sind bestimmte Anreize nötig. Exklusives oder vertieftes Expertenwissen wäre zum Beispiel ein funktionaler Anreiz. Habe ich etwas, das mir Status verleiht, wie etwa das neue iPhone, ist dies ein sozialer Anreiz. Ein emotionaler Anreiz wiederum kann etwas Lustiges oder Leidenschaftliches sein, wie etwa der Edeka-Supergeil-Spot. Kampagnen hingegen, die nur darauf abzielen, dass Konsumenten gratis etwas erstehen können, ziehen zwar auch Leute an, allerdings die falschen – nämlich Schnäppchenjäger. Wichtig ist daher die Vorselektion der Konsumenten: Ich muss interessierte, motivierte Kunden finden, die ich als beste Marken-Botschafter für mein Produkt gewinnen möchte.

Was ist ein Beispiel für gutes WOM-Marketing?

Im Bereich der WOM-Kampagnen hat zum Beispiel der WOM-Marketinganbieter trnd eine ganze Reihe an erfolgreichen Kampagnen für Marken umgesetzt. So sollten in einer Kampagne für Yves Rocher 1’500 Markenbotschafterinnen ein neues Kosmetikprodukt zusammen mit Freunden ausprobieren und «ihren» Yves Rocher Store weiter empfehlen. Das Ergebnis: 13 Prozent mehr Store-Besuche, 19 Prozent mehr Salesuplift für das Produkt und 6 Prozent mehr Gesamtumsatz in den Stores. Auch markeneigene Aktionen, die für Gesprächsstoff und Empfehlungen sorgen, gehören zu WOM-Marketing.

Was meinen Sie damit?

Zum Beispiel die Ovomaltine-Aktion vor einigen Jahren im Zürcher und Berner Hauptbahnhof: An den dort aufgestellten Promoständen wurden über eine Million Ovomaltine-Produkte an Passanten verteilt. Die treusten Ovi-Fans kamen sogar in Orange gekleidet vorbei. Das Besondere dabei: Hinter den Ständen standen nicht etwa Aushilfskräfte, sondern Brand- und Marketingmanager von Ovomaltine. Die Leute hinter dem Produkt wurden also mit den Konsumenten zusammen gebracht. Heute hapert es ja oft daran, dass dieser Abstand zu gross ist. Indem sich die Verantwortlichen aber zeigen, nimmt der Kunde das Unternehmen und seine Produkte ebenfalls als authentisch war und kann eine echte Beziehung zu einer Marke aufbauen.

KMU betreiben WOM-Marketing seit jeher intuitiv

Für welche Branchen eignet sich WOM-Marketing besonders?

Prinzipiell für alle, egal, ob B2C oder B2B. Interessanterweise haben erfolgreiche KMUs, speziell im B2B-Bereich, schon immer dieses Prinzip verfolgt. Weil die Stückzahl ihrer Produktion geringer ist, können sie leichter auf Kundenwünsche eingehen. So erzählte der CEO des Flugzeugbauers Pilatus Aircraft kürzlich in einem Interview, er sei Tag und Nacht für seine Kunden da. Bei der kleinen Stückzahl an Flugzeugen, die das Unternehmen verkauft und dem kleineren Kundenkreis, ist diese direkte Beziehungspflege leichter als bei grösseren Firmen, die millionenfach Massengüter herstellen. Bis zu 150 Kontakte kann ein Mensch in seinem Netzwerk persönlich pflegen; darüber hinaus wird es schwierig. Digitale Technologien helfen hier: Über technische Online-Plattformen kann der Dialog digital skaliert werden. So kann ein Community Manager heute mehrere tausend Kontakte in einem digitalen Netzwerk pflegen – etwa in branded communities oder auf Social-Media-Fanpages.

Beherzigen viele Firmen bereits den WOM-Ansatz?

Ich engagiere mich bei der oben erwähnten Marketingplattform trnd und muss sagen: Alle grossen Unternehmen und Marken sind dort dabei. Schliesslich ist WOM-Marketing wesentlich effektiver als klassische Werbung und wirkt auch besser auf den Absatz als andere Marketingformen. Im Budget vieler Firmen macht WOM allerdings bisher höchstens 5 Prozent aus. Hier wird es aktuell überlagert vom gehypten Social-Media-Marketing und Influencer Marketing mit reichweitenstarken (Video-) Bloggern. Beide gehören eher zu den klassischen Paid-Media-Formen. Genau wie das neu hinzugekommene Content-Marketing. Interessanterweise vermag WOM-Marketing all diese Formen mit abzudecken: Tausende engagierte Markenbotschafter in WOM-Kampagnen erzeugen Online Buzz im gesamten Social Web – und haben damit mindestens den gleichen Einfluss wie Youtube-Stars als Influencer. Zudem können sie glaubwürdig nutzergenerierten Content für das Content-Marketing einer Marke erstellen.

Wird WOM irgendwann klassische Werbung ersetzen?

Nein, das sicher nicht und darum geht es auch nicht. Man sollte sich endlich vom «Silo-gegen-Silo»-Budget-Denken verabschieden. Werbung macht weiterhin viele Leute neugierig. Aber die meisten kaufen eben erst, wenn sie von anderen via WOM hören, dass ein Produkt funktioniert. Beides zusammen – WOM und Werbung – entfaltet eine grössere Absatzwirkung. Darum wird Word-of-Mouth bis in zehn Jahren integraler Bestandteil der Marketingstrategien vieler Unternehmen. Für WOM müssen Marketingleute allerdings umdenken: Hier steht nicht die Marke auf der Bühne, sondern der Kunde mit seinem Markenerlebnis. Es gilt loszulassen, darauf zu vertrauen, dass Konsumenten ebenfalls das Produkt gut erklären können. Und zu realisieren, dass es dabei nicht auf Werbesprüche ankommt.

Zur Person

Unter dem Namen «Mr. WOM» macht *Mark Leinemann Marken und Unternehmen weitererzählbarer und empfehlenswerter. Als einer der führenden Experten für Word-of-Mouth-Marketing und Empfehlungsmarketing berät er grosse und kleine B2B- und B2C-Unternehmen, bietet Trainings und Schulungen und ist als Referent, Autor, Blogger und Gastdozent aktiv. Seit 2015 ist er zudem als Client Service & Consulting Director bei der Marketingplattform trnd tätig, Europas grösstem Anbieter für Collaborative Marketing.



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