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«In Unternehmen gibt es zu viele Spielertrainer, die glauben, Führen geht nebenbei»

06.09.16

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Wodurch zeichnet sich ein guter Chef aus? Und weshalb sollten Unternehmen ihre Mitarbeiter zu begeisterten Fans machen? Wolfgang Jenewein*, Professor für Betriebswirtschaft, erzählt, was Vorgesetzte von Fanbeauftragten eines Fussballclubs lernen können.


Redaktion/Interview: Textagentur etextera

Herr Jenewein, weshalb ist es so wichtig, dass Mitarbeitende eines Unternehmens auch dessen Fans sind?

Aus Mitarbeitersicht lässt sich sagen: Je grösser deren Identifikation ist, mit dem was sie tun, umso mehr Erfüllung verspüren sie. Aus Unternehmensperspektive gilt: Sind Mitarbeitende auch Fans, empfehlen sie das Unternehmen weiter. Auf diese Weise kommen Firmen zu einem Talentpool – denn gute Leute ziehen gute Leute an. Das Wichtigste aber ist: Nur Fans können Fans – in dem Fall Kunden – gewinnen.

Sie selbst haben unter anderem mit dem Alinghi-Segelteam zusammen gearbeitet, mit der Deutschen Fussball Nationalmannschaft oder dem Bundesligaverein des FC Schalke 04. Was können Firmen von erfolgreichen Sportteams in Sachen Mitarbeiterbindung lernen?

Die Voraussetzungen in einem Fussballverein sind zunächst besser. Dort gibt es intrinsisch motivierte Menschen, deren Leidenschaft Fussball ist. Die Hauptaufgabe des Fanbeauftragten besteht darin, diese intrinsische Motivation aufrecht zu erhalten. Deshalb sollte er nicht zu viel intervenieren–zum Beispiel den Fans genaue Vorgaben machen, wie und wo diese zu feiern haben.

Stimmt die Motivation, kommt das Fan sein von ganz alleine

Was heisst das übertragen auf Unternehmen?

Die Hauptaufgabe einer Führungskraft ist ganz ähnlich wie die eines Fanbeauftragten: Sie sollte in erster Linie für die Motivation der Mitarbeitenden sorgen. Bei der Einstellung verfügen diese in der Regel über intrinsische Motivation für den Job. Im Laufe der Zeit macht der Chef dann häufig immer mehr Vorgaben: So müssen Mitarbeitende oft Aufgaben erledigen, die nicht zu ihrer Motivation passen – mit der Folge, dass am Ende die intrinsische Motivation weg ist und der Job nur noch des Geldes wegen ausgeübt wird. Umso wichtiger ist es, dass Vorgesetzte viel mehr wie Fanbeauftragte agieren und Mitarbeitern Erfolge ermöglichen. Dann kommt das Fan sein von ganz alleine.

Was sollte ein guter Vorgesetzter konkret tun?

Es gibt den sogenannten Dreiklang einer guten Führungskraft: identify, combine, stretch. «Identify» bedeutet, ein Chef sollte über viel Empathie verfügen, um die Potenziale eines Mitarbeiters zu erkennen und zu identifizieren. Im nächsten Schritt – zusammengefasst unter dem Begriff «combine» – geht es darum, den Mitarbeiter in Kombination mit anderen auf Position zu stellen. Ähnlich wie ein Fussballtrainer, der erkennt, wer im Mittelfeld spielt und wer besser im Sturm. «Stretch» wiederum meint, den Mitarbeiter herauszufordern und zum Wachstum anzuregen. Ihn eventuell für Aufgaben einzusetzen, die zunächst zu gross erscheinen, und ihn dabei coachen. Kurz: Es geht darum, Menschen zu helfen, in Dingen zu wachsen, die relevant für sie sind und gleichzeitig im Einklang mit den Unternehmenszielen stehen. Denn letztendlich motiviert Erfüllung die Mitarbeiter – nicht Geld.

Für junge Arbeitnehmer ist der Firmen-Geist zentral

Nachdem die Mitarbeiter Fans des Unternehmens sind – wie werden sie zu Markenbotschaftern?

Eine Firma muss zunächst klar stellen, für was sie steht. Sie braucht eine Richtung, Strahlkraft nach aussen, einen Fokus und vor allem: eine Vision! Viele Unternehmen verstehen darunter lediglich, ein Ziel zu haben – etwa der umsatzstärkste Automobillieferant der Welt zu sein oder 100 Milliarden Umsatz zu machen. Doch das greift zu kurz, denn zu einer Vision gehört auch ein Zweck, im Sinne von: Was ist der Beitrag des Unternehmens an die Gesellschaft? Hier scheidet sich die Spreu vom Weizen. Gerade für jüngere Mitarbeiter wird dies immer wichtiger.

Wie meinen Sie das?

Die sogenannten Millennials, die Generation der zwischen 1980 und 1999 Geborenen, fragt immer öfter nach dem Wertegerüst eines Unternehmens, nach dem Beitrag, den es leistet. Damit können sie sich besser identifizieren und in der Folge überzeugender als Botschafter der Firma auftreten. Bezahlung und Arbeitsplatzgestaltung sind zwar nach wie vor wichtige Punkte, wenn es um die Jobwahl geht. Für viele ist heute aber auch die Identifikation mit dem Unternehmen und dem Firmen-Geist zentral.

Wenn Dieter Zetsche plötzlich in Jeans erscheint

Wie viele Unternehmen bedienen sich bereits dieser Mechanismen?

Der Werkzeughersteller Hilti zum Beispiel macht in diesem Bereich bereits seit Jahren einen guten Job. Generell sind es aber meist Start-ups und neu auf den Markt gekommene Unternehmen, die den Fokus auf Gemeinschaft und Identifikation legen. Zum einen, weil sie viele Millennials beschäftigen, zum anderen aber auch, weil das Umfeld heute sehr viel Flexibilität und Agilität verlangt. Dies geht nur mit Mitarbeitern, die intrinsisch motiviert sind. Auch etablierte Firmen erkennen dies langsam und ziehen nach. Ich schätze, dass etwa 30 bis 40 Prozent der Etablierten nach und nach beginnen, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen. Das zeigt sich etwa, wenn Daimler Vorstandsvorsitzende Dieter Zetsche plötzlich die Anzugspflicht aufhebt und selbst in Jeans erscheint.

Weshalb ist dieses Umdenken so wichtig?

Die Ressource Mensch wird immer wertvoller, weil heute nicht Organisationen und Prozesse über Wettbewerbsfähigkeit und Erfolge entscheiden sondern Innovationen. Und für Innovationen und kreative Ideen braucht man qualifizierte Mitarbeiter. In den nächsten 15 Jahren wird deshalb Mitarbeitermotivation ein zentrales Thema sein, wenn es darum geht, sich als Firma Wettbewerbsvorteile zu erarbeiten.

Sind Unternehmen dafür gerüstet?

Tatsächlich wollen alle immer mehr Hochleistung, schauen aber viel zu wenig, wie dies zu schaffen ist. Auch Schweizer Unternehmen investieren zu wenig in Führung – nicht nur finanziell gesehen, sondern auch zeitlich. Das Thema kommt im Tagesgeschäft meist zu kurz. Vielleicht wird um 19 Uhr noch kurz gefragt «wie gehts euch?» – in der Hoffnung, dass am anderen Morgen alle wieder motiviert sind. Das wars dann aber auch. Um in der Sport-Analogie zu bleiben: Ein Fussballtrainier ist 90 Prozent seiner Zeit mit Motivieren und Coachen beschäftigt, der spielt nicht mehr selbst. In Unternehmen hingegen gibt es viel zu viele Spielertrainer, die glauben, Führen geht so nebenbei. Das Problem aber ist: Es gibt zu wenige Coaches.


Zur Person

*Prof. Dr. Wolfgang Jenewein ist Ordinarius für BWL an der Universität St. Gallen und lehrt dort Leadership und Entrepreneurship. Darüber hinaus hat er auch Lehraufträge der RWTH Aachen und der Rotman School of Management in Toronto. In seiner Forschung und Lehre beschäftigt er sich schwerpunktmässig mit der transaktionalen und transformationalen Führung, der Führung von Change sowie der Führung von Hochleistungsteams. Unter anderem hat er mit Mannschaften gearbeitet wie dem Alinghi-Segelteam, der Deutschen Fussball Nationalmannschaft oder dem Bundesligaverein des FC Schalke 04. Ausserdem arbeitet er mit vielen internationalen Grosskonzernen auf Vorstandsebene.

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