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«Grossraumbüros gefährden die persönliche Kommunikation.»

02.12.18


Laute Drucker oder die Telefongespräche der Kollegin – vieles nervt im Grossraumbüro. Doch wenigstens können sich Angestellte dort gut austauschen, dachte man lange. Arbeitspsychologe Felix Frei* ist da anderer Meinung. Er erklärt, weshalb es Menschen in Grossraumbüros sogar schwerer fällt, miteinander ins Gespräch zu kommen.


Redaktion/Interview: Textagentur etextera

Herr Frei, einer aktuellen Studie zufolge ersticken Grossraumbüros persönliche Gespräche im Keim, dafür nimmt die elektronische Interaktion zu. Für Wissenschaftler ist der Grund klar: Im Grossraumbüro fühlen sich Mitarbeitende beobachtet und belauscht; deshalb wählen sie den Computer als Kommunikationsmittel. Ist das erstaunlich?
Nein, erstaunlich ist das nicht. Grossraumbüros gefährden die persönliche Kommunikation – sie fördern diese keineswegs.

Das müssen Sie genauer erklären.
Die offizielle Begründung für Grossraumbüros heisst: Steigerung von Kreativität und Kommunikation. In Wirklichkeit steckt in der Regel reine Kostenersparnis dahinter. Und Kontrolle. Denn in einem Grossraumbüro hat man einen viel besseren Überblick. Wenn Mitarbeitende in Einzelbüros sitzen, ist nie ganz klar, was diese dort aushecken. Das Management kann sich dabei auf die Peerkontrolle verlassen. Es ist genau umgekehrt als in einem Restaurant.

Wie meinen Sie das?
Treffen wir uns in einem vollen Restaurant, können wir dort ganz entspannt über alle nur erdenklichen Themen reden – ganz einfach weil davon auszugehen ist, dass die Umsitzenden dies nicht im Geringsten interessiert. Komplett andersherum verhält es sich im Büro: Sobald dort auch nur ein Gesprächsfetzen an Ihr Ohr dringt, überlegen Sie: «Muss ich das mitkriegen?», «Kann das vielleicht interessant für mich sein?». Konsequenz: Sie sind schneller abgelenkt, können sich nicht gut konzentrieren. Deshalb werden Sie bald beginnen, Kopfhörer aufzusetzen, um abzuschalten – was dem angeblichen Ursprungsgedanken von Grossraumbüros (mehr Kommunikation!) zuwiderläuft.

Viele unterschätzen, wie wichtig der informelle Austausch ist

Dabei bleibt auch der Smalltalk auf der Strecke.
Genau. Viele Firmen unterschätzen, wie wichtig der informelle Austausch unter Mitarbeitenden ist. Mit dem belanglosen Palaver pflegen wir unsere sozialen Beziehungen – etwa wenn wir uns über Fussball unterhalten oder ein paar lockere Sprüche reissen. Das hat zwar alles nichts mit Arbeit zu tun, ist aber enorm wichtig. Im Englischen gibt es dafür den aus dem Jiddischen stammenden Fachbegriff Schmoozing. Findet dies jedoch – wie im Grossraumbüro üblich – vor Zuschauern statt, geraten die Beteiligten unter Legitimitätszwang: Warum reden die beiden während der Arbeitszeit über so was? Die Folge: Wer im Grossraumbüro sitzt, beginnt seine Kommunikation einzudicken, schreibt lieber E-Mails, als sich mündlich auszutauschen, beschränkt sich auf sachlichen Informationsaustausch. Dabei bleibt aber der soziale Zusammenhalt auf der Strecke.

Gibt es denn Firmen oder Branchen, für die sich Grossraumbüros eignen?
Das kann ich mir nicht wirklich vorstellen. Schauen Sie, ich war kürzlich für ein Projekt in einer Grossbank, bekam dort einen Badge ausgehändigt und konnte mich unter den 2000 Mitarbeitenden frei bewegen. Da dort niemand einen festen Arbeitsplatz hat, gab es nichts, was mich als Externen kennzeichnete. Im Umkehrschluss heisst das aber: Es gibt auch nichts, was Mitarbeitende zusammenhält und verbindet. Vielmehr kommt es zur sozialen Entfremdung.

Menschen haben das Bedürfnis nach einem Stück Heimat im Büro

Was wäre eine ideale Arbeitsumgebung – Einzelbüros?
Nein, überhaupt nicht. Man sollte nichts pauschalisieren, sondern lieber individuell reagieren. In meiner Jugend gab es den Spruch: «Zelte bauen statt Häuser.» Genau das bräuchten wir für Arbeitsumgebungen: flexible Strukturen, die sich anpassen lassen, wenn sich ein Team vergrössert oder verkleinert. Aber nicht auf täglicher Basis, sodass man immer wieder einen neuen Arbeitsplatz suchen muss. Menschen haben nun mal das Bedürfnis nach einer minimalen Struktur im Büro, nach einem Stück Heimat. Das ist nur allzu verständlich.

Sind Schweizer Firmen sensibilisiert dafür, dass Grossraumbüros der Kommunikation und Produktivität schaden?
Nein, meiner Erfahrung nach nicht. Dies liegt aber auch an den Strukturen. Mitarbeitende werden heute kaum mehr kontrolliert in Unternehmen, haben viele Freiheiten und manche von ihnen wenig Stress – im Gegensatz zu Führungskräften, die gestresster sind denn je. Für eine Studie mussten sich Arbeitnehmer selbst einschätzen und angeben, wie viel Zeit pro Tag sie effektiv mit Arbeiten verbringen. Was glauben Sie, was dabei herauskam?

Nicht das Absitzen der Zeit muss in Zukunft im Fokus stehen, sondern das Ergebnis

Vielleicht fünf Stunden?
Drei Stunden verbringt laut Selbsteinschätzung ein Büroarbeiter durchschnittlich effektiv mit Arbeit! Die übrige Zeit wird vertrödelt, weil man auf Facebook surft, an unproduktiven Sitzungen teilnimmt, sich an Gerüchten beteiligt oder am letzten Quadrat einer PowerPoint-Präsentation rumtüftelt, was null Mehrwert bringt. Den Grossteil des Tages beschäftigen sich Arbeitnehmer offenbar mit überflüssigen Tätigkeiten. Vor allem im Grossraumbüro kann man sich dabei gut verschlaufen, sprich: so tun, als würde man arbeiten. Ob Sie auf Facebook unterwegs sind oder am PC arbeiten – von der Körperhaltung her ist da kein Unterschied festzustellen.

Angenommen wir unterhalten uns in fünf Jahren wieder über das Thema – wird sich bis dahin etwas geändert haben?
Ich befürchte, dass es in ein paar Jahren stärkere automatische Kontrollmechanismen gibt, mit denen sich die Produktivität der Arbeitnehmer überprüfen lassen. Allerdings hoffe ich, dass ein Umdenken stattfindet: Arbeit muss auf verantwortungsbasierte Tätigkeiten eingedampft werden; alles andere gehört automatisiert. Somit sollte sich die Arbeitszeit massiv reduzieren lassen – denn der Produktivitätsfortschritt gehört geteilt. Viel wichtiger als die Frage, ob nun drei oder acht Stunden im Büro gearbeitet wird, ist, Verantwortung zu übernehmen. Nicht das Absitzen der Zeit muss in Zukunft im Fokus stehen, sondern das Ergebnis. Verantwortung aber kann nur übernehmen, wer Entscheidungsspielraum hat.


Zur Person
Der Arbeitspsychologe *Felix Frei war viele Jahre Dozent für Arbeits- und Organisationspsychologie in der Abteilung für Informatik an der ETH Zürich sowie an den Universitäten Basel, Bern, Bremen und Zürich. Er ist Mitinitiant und Vorstandsmitglied der Swiss Data Alliance, wissenschaftlicher Berater bei Flourister, ehemaliger Kolumnist, gefragter Referent und Autor mehrerer Managementbücher. Sein jüngstes Werk: «Aufbruch zu Autonomie – so kann die Zukunft der Arbeit gelingen» (2018).

Bild: Wikipedia

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