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«Wer misstrauisch und ängstlich ist, sollte keine Führungsfunktion übernehmen.»

02.10.20


Woran erkenne ich, ob ich zur Chefin oder zum Chef tauge? Führungs- und Leadership-Experte Claude Heini* über die wichtigsten Eigenschaften eines Vorgesetzten, angeborenes Talent und den dringenden Nachholbedarf in der Personalentwicklung.


Redaktion/Interview: etextera, Agentur für Text und Design

Herr Heini, angenommen, ich wurde vorgeschlagen, eine Führungsfunktion zu übernehmen. Nun überkommen mich leichte Zweifel. Wie finde ich heraus, ob ich dafür geeignet bin?
Indem Sie in sich gehen, dabei ganz ehrlich sind und sich fragen: Wer bin ich, und was ist mir wichtig? Fällt es mir leicht, Menschen zu akzeptieren, die schwierig sind? Kann ich mir vorstellen, mit Menschen in herausfordernden Situationen zu arbeiten? Vermag ich mich auf mein Gegenüber einzulassen und zuzuhören? Habe ich den Mut und das nötige Selbstvertrauen, auch unangenehme Dinge anzusprechen? Und vor allem: Tausche ich mich regelmässig mit anderen aus über mich und meine Arbeit?

Als Führungskraft sind also vor allem Sozialkompetenzen gefragt?
Das wäre die Mindestanforderung. Natürlich müssen Sie in all den aufgezählten Eigenschaften nicht von Anfang an perfekt sein – aber zumindest gewillt, daran zu arbeiten.

Wie verhält sich das in der Realität?
Das Problem vieler Führungspersonen: Die Leitungsfunktion kommt zu allen anderen Aufgaben meist obendrauf. Leider genügt häufig Fachkompetenz, um befördert zu werden, Führungskompetenz wiederum wird zu wenig beachtet. Um erfolgreich zu sein, muss man jedoch diese Rolle wirklich wollen und sich auch Zeit dafür nehmen.

Will jemand nicht an seiner Führungskompetenz arbeiten, wirds schwierig

Wer sollte lieber keine Führungsfunktion übernehmen?
Menschen, die vor allem mit sich selbst beschäftigt, die von der Grundhaltung her misstrauisch sind, also keine Kontrolle abgeben wollen. Solche, die sehr ängstlich sind, nicht mutig für Neuerungen. Auch wer intolerant ist und sich nicht mit anderen Meinungen oder Profilen anfreunden kann, eignet sich nicht zum Führen. Genauso wie sture Menschen, die immer glauben, die beste Lösung zu haben, und andere nicht miteinbeziehen. Dies gilt auch für Leute, die generell über geringe Energiereserven verfügen oder sich vor allem als Fachperson sehen.

Gibt es sowas wie Talent oder angeborene Fähigkeiten zum Führen?
Meiner Meinung nach lässt sich fast alles lernen. Auch das viel beschworene Charisma oder die Ausstrahlung. Nur wenn jemand nicht an seiner Führungskompetenz arbeiten will, wirds schwierig.

Wodurch zeichnen sich die besten Chefs aus?
Wer gut führt, nimmt sein Team mit auf eine Reise und will mit diesem gemeinsam etwas erreichen. Das muss nicht die ganz grosse Vision sein, aber es geht darum, zusammen ein Ziel zu verfolgen. Gute Vorgesetzte können zudem mit Veränderungen umgehen. Sie befähigen und ermächtigen ihre Leute und helfen diesen, sich zu entwickeln. Vor allem aber sind gute Chefs menschlich und authentisch. Spüren Mitarbeitende, dass die Führungsperson sie unterstützt, ernst nimmt und fördert, ist viel erreicht.

Jüngere Mitarbeitende haben einen höheren Anspruch an Vorgesetzte

Wie steht es generell um die Führungskompetenz in der Schweiz?
Viele der jungen Führungspersonen verfügen über sehr gute Grundlagen. Bei älteren Führungskräften wiederum gibt es verschiedene Kategorien: Diejenigen, die zwar sehr grosse Erfahrung haben, aber immer noch nicht gelernt haben, was gute Führung ist. Diejenigen, die dies zwar wissen, sich aber selbst im Wege stehen. Und diejenigen, die viel an sich gearbeitet haben und sehr gut sind. Kurz: Es gibt eine Handvoll sehr gute Führungspersonen, einige ganz ordentliche und daneben sehr viel Mittelmass.

Was bräuchte es, um vom Mittelmass wegzukommen?
Unternehmen sollten mehr und vor allem nachhaltiger in Personalentwicklung investieren. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, über Jahre angeeignetes Verhalten ändert sich nicht plötzlich durch ein zweitägiges Führungsseminar. Hier bräuchte es längerfristige Begleitung. Ausserdem müsste in den oberen Etagen noch mehr passieren.

Wie meinen Sie das?
In den unteren und mittleren Ebenen zeigen sich die Veränderungen bei Führungskräften schon recht gut. Doch auch diese brauchen Chefs, die mit gutem Beispiel vorangehen – was allerdings häufig nicht der Fall ist. Ausserdem müsste bei der Auswahl von Führungspersonen härter selektioniert und Führungskompetenz höher gewichtet werden. Vor allem jüngere Mitarbeitende erwarten dies, denn sie haben meist einen höheren Anspruch an Vorgesetzte. Darauf müssen Unternehmen reagieren.

 

Zur Person
Claude Heini ist selbstständiger Trainer, Dozent, Coach und Berater. Er gilt als einer der kompetentesten Führungs- und Leadership-Experten in der Schweiz und im deutschen Sprachraum.

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