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«Bei langjährigen Angestellten wird ein Mitarbeitergespräch schnell zur Farce.»

30.05.19

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Lästiges Ritual oder bewährtes Führungsinstrument? Für Armin Trost*, Experte für Personalwesen, passen Mitarbeitergespräche (MAG) nicht mehr in die moderne Arbeitswelt. Im etextera-Interview spricht er über zeitgemässe Alternativen und weshalb sich Mitarbeitende selbst Feedback holen sollten.


Redaktion/Interview: Text- und Übersetzungsagentur etextera

Herr Trost, wann haben Sie zuletzt ein Mitarbeitergespräch (MAG) geführt?

Vor zwölf Jahren als Mitarbeiter, vor zehn Jahren als Führungskraft. Dabei versuchten beide Seiten stets, die Sache möglichst schnell hinter sich bringen. Denn allen Beteiligten war klar: Wir zwei hier im Raum brauchen das nicht – machen es aber der Form halber, weil die Personalabteilung es so will. Und so funktioniert es doch meistens: Einmal im Jahr setzen sich Chef und Mitarbeiter für 30 Minuten zusammen, nehmen das Protokoll vom Vorjahr zur Hilfe und passen das Formular entsprechend an. Beide Seiten tun sich nicht weh, die meisten Punkte sind sowieso klar, und am Ende ist die Personalabteilung zufrieden.

Was haben Sie gegen Mitarbeitergespräche?

Zunächst einmal habe ich nichts gegen Gespräche! Wie könnte ich auch etwas dagegen haben – Gespräche sind essenziell. Grundlage dafür sind jedoch Vertrauen und Offenheit. Wenn aber Ergebnisse und Entscheidungen aus einem Gespräch dokumentiert und an eine zentrale Organisation weiter gereicht werden, und sich daraus Konsequenzen für Gehalt und Karriere ergeben, fehlen diese Voraussetzungen. Das MAG ist im Grunde aber kein Gespräch, sondern ein Managementsystem, bei dem auch Gespräche vorgesehen sind. Es stellt sich also eher die Frage, ob dieses System sinnvoll ist.

Das MAG passt in hierarchische Organisationen, in denen Chefs von oben nach unten führen

Das MAG ist also ein Relikt aus alten Zeiten?

Genau. Es passt sehr gut in Unternehmen mit hierarchischer Organisation, in denen Chefs in erster Linie Bosse sind, von oben nach unten führen, Ziele festlegen und diese dann kontrollieren. In solch einem Umfeld der strengen Form der Arbeitsteilung mögen MAG auch heute noch ein gutes Instrument sein. In einem von Vertrauen geprägten Verhältnis zwischen Manager und Mitarbeiter aber, in dem der Chef auf Augenhöhe führt, mutet ein institutionalisiertes Mitarbeitergespräch fremd an. So wird bei langjährigen Mitarbeitenden das Ritual schnell zur Farce.

Viele Mitarbeiter finden das MAG aber auch gut – weil es oft die einzige Gelegenheit im Jahr ist, um über Aufgaben, Arbeitsbedingungen, Entwicklung und Ziele zu sprechen. Dinge, die im Alltag häufig untergehen.

Gegenfrage: Warum muss das Feedback vom Chef kommen? In Mitarbeiterbefragungen beklagen Mitarbeitende immer, sie bekämen zu wenig Feedback. Darauf sage ich: «Dann hol es dir! Du bist doch ein erwachsener Mensch, sitz nicht rum und jammere!» Und jetzt reden wir über das eigentliche Problem: Hat ein Mitarbeiter kein Vertrauen zu seinem Chef, traut er sich nicht, um Feedback zu bitten. Zwinge ich in so einem Setting die Führungskraft, ein MAG zu führen, kann nichts dabei heraus kommen. Führungskräfte, zu denen Mitarbeitende Vertrauen haben, brauchen das MAG als Instrument nicht.

Sind traditionelle MAG also eine Gefahr für gute Führung?

Ja, eindeutig. Heute wird zunehmend in Teams gearbeitet, die aus Experten mit klaren Fachgebieten bestehen. Diese haben in den entsprechenden Gebieten mehr Ahnung als der Chef – weshalb er seinen Mitarbeitern einfach vertrauen muss. Als Coach gibt er Impulse, hat das grosse Ganze im Blick, überlässt die Verantwortung aber immer dem Team. Er wird niemals einen einzelnen Mitarbeiter für schlechte Leistungen negativ bewerten, sondern vielmehr schauen, dass dieser selbst zu dieser Einsicht gelangt. Mit dem MAG aber zwinge ich die Führungskraft zu einer Beurteilung.

In Zukunft gilt es eher horizontal statt vertikal zu denken

Was sind zeitgemässe Alternativen für das MAG?

Zum Beispiel die Verantwortung für die Entwicklung dem Team übertragen: In einem definierten Rahmen bestimmt dann das Team eigenständig seine Ziele. Teammitglieder könnten sich ausserdem selbst Feedback holen – und zwar vom Kunden statt von der Führungskraft, denn in Zukunft gilt es eher horizontal statt vertikal zu denken. Abstimmungen müssen zudem viel kurzzyklischer erfolgen – nämlich dann, wenn gerade Bedarf herrscht, und nicht fest institutionalisiert nur einmal im Jahr, wie es das MAG vorgibt.

Ist es nur eine Frage der Zeit, bis es keine MAG mehr geben wird?

Davon bin ich überzeugt, ja. In Gesprächen mit Personalleitern, ganz gleich welcher Branchen, merke ich deutlich: Der Wind hat sich gedreht, das MAG ist auf dem Prüfstand. Schliesslich unterstützen Personalabteilungen die Transformation neuer Arbeitswelten und wollen keinesfalls, dass ihre Instrumente einer Entwicklung im Wege stehen. Das MAG tut dies aber ganz klar – genauso übrigens, wie die oft vorgeschriebene Leistungsbeurteilung der Belegschaft in 10 Prozent low performer, 70 Prozent Durchschnitt und 20 Prozent high performer. Solche Instrumente killen jegliche Zusammenarbeit im Team. Deshalb haben Firmen wie Adobe oder Microsoft diese Dinge abgeschafft.

Wieviele Firmen erkennen dies bereits?

Das ist schwer zu sagen. Aber ich denke, von den 100 Schritten, die zu machen sind, haben wir bisher lediglich die ersten zwei bewältigt.


Zur Person:

*Professor Armin Trost, Dr. phil., Dipl.-Psych., lehrt und forscht an der Business School der Hochschule Furtwangen (D). Seine Schwerpunkte sind Talent Management, Employer Branding und die Zukunft der Arbeit. Zuvor hat er eine Professur an der FH Würzburg inne gehabt. Bei SAP ist er mehrere Jahre weltweit für Recruiting verantwortlich gewesen. Armin Trost ist nicht nur als Autor zahlreicher Fachbeiträge und Bücher bekannt, sondern auch als Redner auf namhaften Kongressen.

Bild: Armin Trost

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