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«Bei manchen Radiosendungen ertrage ich die Sprechenden nicht»

28.05.15

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Unsere Stimme an Vorträgen und Sitzungen ist oft zu schnell, undeutlich oder atemlos – und verhindert so, dass Inhalte bei Zuhörern wirklich ankommen. Stimmtrainerin Yvonne Vogel* über die Stimme als unterschätztes Werkzeug und weshalb Singen unter der Dusche hervorragend ist.
Redaktion/Interview: Text- und Übersetzungsagentur etextera

Frau Vogel, kann eine Piepsstimme ein Karrierekiller sein?

Ja, das kann sie. Nur wer stimmig ist, begeistert und erzeugt Stimmung. Menschen mit einer guten Stimme finden einfach Anklang – weil neben Inhalten auch die eigene Haltung hörbar wird. Nur so können Gedanken, Konzepte oder gar Visionen an den Mann und die Frau gebracht werden. Eine unangenehme Piepsstimme ist dabei hinderlich – eine Poltergeiststimme oder eine scharfe, zischende Stimme ebenso. Doch an der Stimme kann man arbeiten. Allerdings funktioniert das nicht losgelöst, sondern ist immer etwas Ganzheitliches. Denn die Stimme hat auch etwas mit der Persönlichkeit zu tun. Und dazu muss man bereit sein.

Ist die Stimme ein unterschätztes Werkzeug?

Auf jeden Fall! Wir tun so viel für unseren Körper: Gehen joggen für die Fitness, ernähren uns gesund – aber die Stimme soll einfach da sein. Den meisten Menschen fällt ihre Stimme überhaupt erst auf, wenn sie nicht mehr funktioniert. Ich bin immer wieder überrascht, dass viele kein Verhältnis zu ihrer eigenen Akustik haben. Dabei lässt sich die eigene Stimme sehr gut trainieren. Das wenigste ist angeboren. So wie ich jeden Tag esse und trinke könnte ich also auch meine Stimme jeden Tag mit zwei, drei kleinen Übungen trainieren.

Wie denn zum Beispiel?

Es ist wichtig, die Stimme zu ölen. Dazu kann man etwa in die Höhe und in die Tiefe schlucken: Mit geschlossenem Mund ein genussvolles «mmm»-Geräusch für sich durchklingen lassen in allen Tonlagen. Was übrigens sehr viel besser ist als Räuspern. Denn beim Räuspern wird die Stimme nur unnötig aufgeraut. Gut ist ausserdem, mit Olivenöl oder Salbei zu gurgeln. Spielerische Übungen wie Lachen oder Weinen regen das Zwerchfell an. Etwas ganz Tolles ist auch Singen. Meinen Seminarteilnehmern empfehle ich immer: Singt in einem Chor! Oder morgens unter der Dusche! Das ist vor allem wichtig, wenn man gleich einen Vortrag hält oder moderieren muss. Die Stimme anzukurbeln ist dann unabdingbar. Ansonsten klingen Sie verschlafen, reden atemlos, oder produzieren Sprechdurchfälle, wie ich es nenne.

Fühlen sich Zuhörer von einer Präsentation erschlagen, liegt das oft an der Stimme

Begegnen Sie oft solchen Sprechdurchfällen?

Bei manchen Radiosendungen schalte ich ab, weil ich den Tonfall der Sprechenden und ihr falsches Atmen nicht ertrage. Natürlich kann man sagen, das ist in meinem Fall eine Déformation professionnelle. Aber andere haben bestimmt auch Mühe beim Zuhören oder fühlen sich irgendwie unwohl dabei – nur wissen sie nicht, weshalb. Bei Vorträgen ist das ja genauso: Fühlen sich Zuhörer von einer Präsentation erschlagen, liegt das oft nicht am Inhalt, sondern an Vortragsweise und Stimme.

Ist eine geschulte Stimme wichtiger als der Inhalt eines Vortrags?

Nein. Studien zeigen zwar, dass die Glaubwürdigkeit des Sprechers zu einem grossen Teil vom Klangvolumen abhängt, von der Deutlichkeit der Aussprache, von der Stimmhöhe, der Modulation und der Lautstärke. Kurz: Bei einer guten Stimme können Zuhörer Inhalte viel besser behalten. Auch Körperhaltung und Rhetorik sind sehr wichtig. Aber Schaumschläger sollten sich nicht unberechtigte Hoffnungen machen. Denn ohne Inhalt nutzt dies alles nichts.

Was kann man für eine gute und angenehme Sprechstimme tun?

Die Stimme hat sehr viel mit Körpersprache zu tun. Deshalb ist es gut, Bodenkontakt zu haben und mit den Füssen geerdet zu sein, wenn man spricht. Also bloss nicht irgendwo zusammengekauert hocken. Generell ins Ausatmen beginnen zu reden – nicht ins Einatmen, sonst klingen Sie atemlos und gehetzt. Ausserdem pro Satz nur einen Gedanken ansprechen, alles andere überfordert die Zuhörer. Schachtelsätze sind nur in der geschriebenen Sprache erlaubt. Zur Vorbereitung können Sie ruhig die Tonleiter einmal durchsingen, etwa auf ja, ja, ja. Das lockert.

Die Stimme sagt sehr viel über einen Menschen aus

Was lässt sich aus einer Stimme heraushören?

Die Stimme sagt sehr viel über einen Menschen aus. Räuspert sich jemand ständig, will er vielleicht unbedingt beachtet werden. Eine immerzu weinerlich, jammernde Stimme wiederum gehört meist zu einem Menschen, der latent Angst hat und einem durch seinen Tonfall mit jedem Satz sagen will: Lass mich bloss in Ruhe. Unsicher wirkt es hingegen, wenn jemand die Satzenden stets nach oben zieht, so dass sich das Ganze anhört wie eine Frage. Vor allem Frauen machen das oft.

Ja? Weshalb?

Sie glauben, dies komme besser an, wollen nett wirken, beziehungsweise geliebt werden. Solchen Leuten sage ich immer: «Von wem ihr geliebt werden wollt, sucht ihr euch selbst aus. Hier geht es darum, respektiert zu werden. Und das werdet ihr so nicht.»

Sind es vor allem Frauen, die Stimmtraining nötig hätten?

Nein, Männer betrifft dies genauso. Unter ihnen gibt es zum Beispiel oft die Turbos, die denken, wir Zuhörer müssten beim ersten Mal alles verstehen, was sie sich lange erarbeitet haben. Als gute Übung empfiehlt es sich hier, ab und zu sich selbst auf Band anzuhören. Viele sagen ja «meine Stimme klingt furchtbar» und ertragen es kaum, ihren eigenen Spruch auf dem Beantworter zu hören. Zunächst aber muss ich akzeptieren, was ich habe – erst dann kann ich daran arbeiten.

Zur Person:

*Yvonne Vogel hat ein Trainingsprogramm mit den Schwerpunkten Körpersprache, Stimmpräsenz und Auftrittskompetenz entwickelt und führt dazu Seminare durch. Sie ist u.a. als Dozentin tätig an der Hochschule der Künste, Zürich, an der Schule für Gestaltung, Basel, und am Medienausbildungszentrum MAZ, Luzern.
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