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«Wer nicht der Show-Typ ist und keine beeindruckenden Präsentationen hält, hat oft keinen guten Ruf»

22.06.16

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Jeden Tag werden Millionen von Präsentationen gehalten – doch nur sehr wenige begeistern. Weshalb das so ist, weiss Managementtrainer Rolf Specht*. Im Interview mit etextera erklärt er, was Profilneurosen mit Präsentationen zu tun haben und weshalb von Powerpoint abzuraten ist.
Redaktion/Interview: Textagentur etextera

Herr Specht, Präsentationen empfinden viele als entsetzlich öde – sowohl zum Vorbereiten, also auch zum Zuhören. Was läuft da schief?

Powerpoint ist übermächtig geworden. Die Leute besitzen heute Folien zu sämtlichen Themen und ziehen diese bei jeder Gelegenheit und in Massen hervor. Falsch angewendet ist dieses Werkzeug aber sehr starr und unlebendig. Was daran liegt, dass viele Vortragende sich nicht fragen: «Was hat das Thema mit den Zuhörern zu tun?» und «Was ist eigentlich meine Botschaft?» Stattdessen breiten sie ihr gesamtes Wissen aus und tippen alles runter, was ihnen dazu einfällt. Vor allem aber überfordern sie die Zuhörer mit einem wahnsinnigen Tempo.

Wie meinen Sie das?

Vortragende leisten sich oft regelrechte Meisterschaften im Folienschnellauflegen. Zeigen Sie Ihren Zuhörern mal eine Folie mit 30 Wörtern mit der Aufforderung «Lest das und gebt Bescheid, wenn ihr damit fertig seid» – dann werden Sie merken: Das dauert schnell eine Minute oder länger. Tatsächlich tun Zuhörer bei Powerpoint-Präsentationen oft so, als würden sie lesen – in der Realität aber schaffen sie das kaum. Lesen und Zuhören funktionieren nicht gleichzeitig. Da Folien jedoch dazu verleiten, alles automatisch zu lesen, ist solch eine Präsentation oft nichts anderes als betreutes Lesen. Hört das Publikum aber nicht zu, kann es vom Redner nicht begeistert werden.

Powerpoint ist ein begrenztes Medium

Was ist die Alternative?

Ein freier Vortrag, eventuell unterstützt von Flipcharts. Ich bin seit 30 Jahren als Managementtrainer tätig und habe sämtliche Themen als Powerpoint-Präsentationen vorliegen. Allerdings verwende ich diese kaum, weil ich das Tempo dabei nicht kontrollieren kann. Flipcharts wiederum bieten den Vorteil, dass sich anhand der vollgeschriebenen Charts jederzeit zurückverfolgen lässt, was bereits erarbeitet worden ist. Kurz: Alles Wesentliche ist noch vorhanden, weil aufgeschrieben. Powerpoint wiederum ist mit immer nur einer sichtbaren Folie sequentiell präsent und damit ein sehr begrenztes Medium.

Und wenn es doch Folien sein sollen?

Dann rate ich zum Präsentationsprogramm Prezi. Dieses ist weniger starr als Powerpoint und deshalb vielseitiger einsetzbar. Ein Hauptproblem bleibt jedoch: Bei Folien-Präsentationen schwingt oft die Botschaft mit: «Schau nicht auf mich, schau auf meine Folien.» Der Vortragende degradiert sich selbst zum Folienschieber. Anstatt mit seiner Persönlichkeit zu punkten, versteckt er sich hinter Daten, Fakten und Zahlen.

Nun ist aber ein freier Vortrag anspruchsvoller als eine Folien-Präsentation.

Das stimmt. Aber Folien können – dosiert eingesetzt – dabei durchaus unterstützen. Man sollte allerdings darauf achten, dass sie nicht zum Vampir werden und alle Aufmerksamkeit aufsaugen. So braucht eine gute Folie unbedingt eine Herleitung – der Vortragende sollte also etwas dazu sagen, bevor er sie auflegt. Ausserdem empfehle ich unvollständige Folien einzusetzen, die vor Ort ergänzt werden. Auch ein Fazit braucht jede. Damit die Übergänge klappen, legt man zwischen zwei Folien am besten eine Schwarzfolie – sonst erzählen Sie noch von der alten, während die neue bereits erscheint.

Heute unterbricht der Vorgesetzte bereits nach zehn Sekunden eine Präsentation

Ist es schwieriger geworden, einen Vortrag zu halten?

Auf jeden Fall. Gelegenheiten, in denen man ohne Unterbrechung monologisieren kann, werden immer seltener. Heute unterbricht der Vorgesetzte bereits nach zehn Sekunden eine Präsentation mit einer Frage – weil er das Gefühl hat: «Ich habe schon lange nichts mehr gesagt.» Worauf sich der Vortragende genötigt sieht, zu sagen: «Darauf komme ich noch.» Insgesamt sind Zuhörer heute verwöhnter. Schliesslich lässt sich im Internet auf alles Mögliche zugreifen: Webinare, blended learning – da gibt es tolle Sachen; die Messlatte liegt hoch. Gleichzeitig gilt es realistisch zu bleiben: Für einen 20-minütigen Vortrag können Sie sich einfach nicht 18 Stunden lang vorbereiten.

In vielen Unternehmen werden Folien allerdings als Protokoll zweckentfremdet.

Das ist in der Tat ein Problem. Präsentationen werden als Dokumentationen missbraucht bzw. als Versicherung gegenüber Vorgesetzen, dass nichts Wesentliches vergessen worden ist. Dies wiederum verleitet Vortragende, viel zu viel auf viel zu vielen Folien aufzuschreiben.

Wie lautet Ihr Rezept für eine gute Präsentation?

Der Vortragende sollte sich fragen: Was will ich sagen? Welche Geschichten oder Bilder lassen sich dafür verwenden? Wie ist die sachliche Reihenfolge? Anschliessende sollte er alles weghauen, was nicht unbedingt nötig ist und den Rest in eine rhetorische Reihenfolge bringen – dabei kann auch mit dem Schluss begonnen und die Begründung hergeleitet werden. Das Wichtigste aber ist: Wer nicht an sein Produkt glaubt, kann dafür auch nicht begeistern.

Präsentationen werden oft mit Selbstmarketing verbunden

Macht es einen Unterschied, ob ich vor 20 oder 200 Leuten eine Präsentation halte? Und ob es sich um Arbeitskollegen handelt oder um die Führungsriege?

20 Zuhörer lassen sich gut in einen Vortrag mit einbeziehen, was bei 200 nicht möglich ist. Sind Vorgesetzte anwesend, ist ausserdem der Druck grösser, denn eine Präsentation ist dann immer auch mit Selbstmarketing verbunden. Leider kommt es häufig vor, dass ein Mitarbeiter mit sehr guten Leistungen beim Vorgesetzten keinen guten Ruf geniesst, weil er nicht der Show-Typ ist und keine beeindruckenden Präsentationen hält. Ich wünsche mir mehr Chefs, die ihren Fokus auf Sein statt auf Schein legen.

Werden zu viele Präsentationen gehalten?

Auf jeden Fall! Eben weil zu viele auf Schein setzen statt auf Sein. Das Motiv für eine Präsentation liegt häufig in einer Profilneurose begründet. Oft würde es reichen, sechs Folien aufzulegen, anschliessend noch kurz zu diskutieren – und fertig. Weil aber auch Selbstmarketing mit hinein spielt, der Vortragende also zeigen will, was er alles weiss, packt er viel mehr in die Präsentation als nötig. In der anschliessenden Diskussion wiederum wollen die Kollegen zeigen, was sie drauf haben, und zerreissen alles. Präsentationen sind somit Teil unseres Kommunikationsverhaltens – und um dieses steht es bekanntlich nicht immer zum Besten. Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, dass sich langfristig die Maxime «reduce to the max» durchsetzen wird und somit die Frage «Was ist wirklich wichtig?» ins Zentrum rückt.

Zur Person
*Dr. Rolf Specht studierte Germanistik, Theologie und Theaterwissenschaften und konzentrierte sich anschliessend auf Kommunikations-Psychologie und Leadership-Themen. Er baute das Management-Trainings-Institut Management College Zürich® auf, das unternehmensinterne Aus- und Weiterbildungen zu Management und Leadership anbietet. Seit 1988 ist Rolf Specht im deutschsprachigen Raum als Berater, Trainer, Coach und Hochschuldozent unterwegs, seit 2009 als geschäftsführender Partner der CO3 AG.

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