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«Nur 20 Prozent der Unternehmen nutzen elektronische Tools für die Zusammenarbeit in Teams richtig.»

29.05.17

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Im letzten Jahrzehnt hat sich die Arbeitsweise in Firmen drastisch verändert. Arbeitsumgebung und Methoden wurden jedoch nicht angepasst, bemängelt Stephan Schillerwein*. Wie sich Videokonferenzen verbessern lassen und worauf es in virtuellen Teams ankommt, erzählt der Digital-Workplace-Experte im Interview.


Redaktion/Interview: Textagentur etextera

Herr Schillerwein, Videokonferenzen sind heute in vielen Unternehmen ein alltägliches Mittel der Zusammenarbeit. Auf was kommt es dabei an?

Diese Kommunikationsform ist sehr anspruchsvoll und immer noch ungewohnt für uns Menschen – nicht nur weil es immer wieder technische Probleme dabei geben kann. Es entspricht schlicht nicht unserer Natur, so künstlich zu kommunizieren. Viele Dinge, die sich in normalen Gesprächen leicht auflösen lassen, gehen in Videokonferenzen oder Telefonaten unter – wie etwa: «Warum ist eine bestimmte Person heute so schweigsam?» Denn von Angesicht zu Angesicht können wir viel besser auf nonverbale Signale achten. Somit ist eine starke Moderationsrolle gefragt. Auch klare Spielregeln helfen.

Wie könnten diese aussehen?

Starten Sie nicht einfach mit dem Inhalt der Videokonferenz, sondern thematisieren Sie zuerst die Sitzung selbst. Bei regelmässigen Runden empfehle ich, die Teilnehmer nach ihren negativen Erfahrungen zu befragen und dann gemeinsam festzulegen, wie es besser gemacht werden kann. Hilfreich ist auch, bereits am Anfang anzukündigen, dass in den letzten fünf Minuten eine offene Feedbackrunde stattfindet, in der ausgetauscht wird, was an der Videokonferenz gut war und was nicht. Dies verhindert, dass Teilnehmer nebenher E-Mails schreiben oder unaufmerksam sind. Auch sollte der Moderator zu Beginn klären, ob alle wirklich Zeit haben, bzw. darauf hinweisen: Wer ein dringendes Gespräch auf dem Handy erhält, meldet sich aus der Runde ab. Sonst ist die Person auf einmal weg oder die anderen Teilnehmer hören sie im Hintergrund telefonieren – alles Dinge, die irritieren.

Länger als 45 Minuten sollte eine Videokonferenz nicht dauern

Gibt es eine Faustregel für die maximale Länge einer Videokonferenz?

Da es bei dieser Art der Kommunikation sehr anstrengend ist, aufzupassen und sich zu fokussieren, sollte eine Videokonferenz nicht länger als 45 Minuten dauern. Ansonsten unbedingt eine Pause einbauen – fünf Minuten die Leitung auf stumm schalten, Kaffee trinken gehen und erst dann weiter machen. Sonst nehmen sich die Teilnehmer ihre Pause im Laufe der Sitzung selbst – und sei es nur durch nachlassende Aufmerksamkeit.

Videokonferenzen sind ein gängiges Kommunikationsmittel für virtuelle Teams und nur ein Teil einer neuen Form der Zusammenarbeit in Unternehmen. Sind Firmen dafür gerüstet?

Die meisten Teams würden sowohl von mehr virtueller Zusammenarbeit profitieren als auch von der Adaption zeitgemässer Vorgehensweisen. Bei der virtuellen Zusammenarbeit etwa ist viel mehr möglich, als nur eine gemeinsame Dateiablage. Schaut man sich eine typische Projektsitzung an, finden sich viele Punkte, die effizienter und effektiver laufen würden, wären sie virtuell bearbeitet oder zumindest vorbereitet. Status-Updates könnten zum Beispiel stark abgekürzt, Entscheidungen vorbereitet und Präsentationen auf das Wesentliche reduziert werden. Praktisch jedes Team sehnt sich nach Entlastung – was meist mit einfachen Dingen möglich ist. Trotzdem wird zu wenig darauf geachtet, wie sich die Zusammenarbeit von Teams verbessern lässt.

Was müsste anders laufen?

Am Anfang sollte immer die Frage stehen: Wie wollen wir zusammen arbeiten? Wird diese Frage nicht gestellt, lautet die implizite Antwort «wie immer!», was gleichbedeutend ist mit: «genauso ineffizient wie immer». Nehmen wir etwa den Umgang mit Dokumenten: Zunächst klappt dies vielleicht ganz gut, doch je mehr Dokumente erstellt werden, desto grösser ist das Chaos in der Ablage. Welches ist der aktuellste Projektplan? Wo finde ich ihn überhaupt? Wer ist dafür verantwortlich? Kurz: Es fehlen Strukturen für grundlegende Dinge! Das gleiche gilt für Aufgaben, die nicht oder nur unzureichend koordiniert werden. Einer aus dem Team schreibt sich seine Aufgaben auf, der Zweite hat sie im Kopf, der Dritte verwaltet sie in Outlook. Aber keiner im Team hat den Überblick, wer was gemacht hat oder welche Aufgaben im Verzug sind. All diese Dinge sollten im Jahr 2017 selbstverständlich sein. Doch die Wenigsten arbeiten hier fortschrittliche und effizient.

Wissensarbeit hat sich in Unternehmen klammheimlich ausgebreitet

Und wie wäre es richtig?

Die Basis ist eine gemeinsame Plattform zur digitalen Zusammenarbeit, also ein entsprechendes Collaboration Tool, mit dem sich die Zusammenarbeit in Teams vereinfachen lässt. Das können interne Portale wie das Intranet, Sharepoint oder vergleichbare Tools sein oder auch externe Collaboration Services in der Cloud. Schätzungsweise 80 Prozent aller Unternehmen verfügen über solche Tools, doch nur 20 Prozent nutzen elektronische Tools für die Zusammenarbeit in Teams richtig. Das Problem ist: Die wenigstens Unternehmen haben sich damit beschäftigt, wie drastisch sich die Arbeitswelt im letzten Jahrzehnt verändert hat.

Was meinen Sie damit?

Waren früher viele Abläufe standardisiert und automatisiert, haben wir es heute zunehmend mit Wissensarbeit zu tun. Im Projektmanagement etwa ist jedes Projekt abhängig von den Personen, die es vorantreiben. Tauschen Sie das Team aus, erhalten Sie völlig andere Ergebnisse. Das meiste sind nicht-standardisierte Aufgaben, die von der Zusammenarbeit, dem Austausch und der Kommunikation des Teams leben – Wissensarbeit eben. War diese früher auf das Management und wenige planerische Funktionen beschränkt, hat sie sich mittlerweile klammheimlich im Unternehmen ausgebreitet. Arbeitsumgebung und Methoden wurden jedoch nicht angepasst. So bekommen wir zwar immer mehr E-Mails aber trotzdem nicht mehr Informationen, weil wir nicht gelernt haben, damit umzugehen. Dies erfordert nämlich Veränderungsprozesse in Unternehmen, die begleitet werden müssen.

Was raten Sie Unternehmen?

Sich nicht zum Ziel nehmen, alles auf einmal umzusetzen, sondern lieber Schritt für Schritt vorzugehen. Beginnen Sie damit, nach Leuten im Unternehmen zu suchen, die offen für Veränderungen sind – diese tragen die Neuerungen dann weiter. Sobald Mitarbeitende nämlich Vorteile für sich erkennen, machen sie auch mit. Wer bei Videokonferenzen merkt, dass die Feedbackrunde am Schluss etwas bringt, fragt vielleicht: Gibt es noch mehr solcher Möglichkeiten, die Dinge besser zu machen? Hier lässt sich dann einhaken. Dieser Prozess aber dauert. Bis ein Unternehmen tatsächlich sagen kann «heute arbeiten wir anders» und die Veränderungen für alle spürbar werden, dauert es leicht zwei bis drei Jahre. Umso wichtiger ist es, diesen Veränderungsprozess schnell zu starten. Sonst geraten Unternehmen in einen Rückstand, der sich nur schwer wieder aufholen lässt.

Zur Person
*Der Digital-Workplace-Experte Stephan Schillerwein ist seit 20 Jahren in Informationsmanagement und in digitalen Medien tätig. Dabei hat er mehr als 120 Projekte in über 70 Unternehmen aller Grössen und Branchen als Berater begleitet. Ausserdem kennt er die Unternehmenspraxis aus eigener Tätigkeit als Intranet- und Online-Manager in mehreren Unternehmen. Heute ist er als Geschäftsführer der Schillerwein Net Consulting beratend tätig in den Bereichen Intranets, Social Collaboration, Digital Workplace und Knowledge Work. Er hat zahlreiche Publikationen veröffentlicht und referiert in Seminaren und auf Konferenzen.

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