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«Informationen mittels Theater erlebbar machen»

27.08.15

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Mit Theaterstücken Veränderungsprozesse in Unternehmen anstossen: Marco Zbinden* und sein Team bieten massgeschneidertes Firmentheater an. Der Schauspieler sprach mit etextera über Tabubrüche, Fake-Consultants und Theater als Mittel der Kommunikation.

Redaktion/Interview: Textagentur etextera

Herr Zbinden, wie funktioniert Unternehmenstheater?

Das ist eine Theaterform, die einerseits der Unterhaltung dient: Also auf das Unternehmen zugeschnittene Stücke, die für spezielle Anlässe wie Firmenfeiern oder Kader-Workshops geschrieben und gespielt werden. Andererseits gibt es aber auch Formate zur Weiterbildung: Da reicht die Palette von interaktiven Performances bis zu Rollenspielen in Sales - oder Leadership-Trainings. Beide Formen des Firmentheaters – Unterhaltung und Weiterbildung – wollen Informationen mittels Theater erlebbar machen. Und vor allem emotionalisieren. Denn interne Unternehmenskommunikation ist meist sehr kopflastig: Die 100’000ste PowerPoint-Folie bleibt Mitarbeitenden mit Sicherheit weniger in Erinnerung als eine witzige Show auf der Bühne, oder wenn sie selbst aktiv in ein Rollenspiel einsteigen.

In welchen Situationen werden Sie konkret gebucht?

Klassisch sind Konfliktsituationen. Wenn eine Firma einen Change-Prozess anstossen will, zum Beispiel. Einmal buchte uns ein Unternehmen, das die Verbindlichkeit in den Mitarbeitergesprächen erhöhen wollte. Die Mitarbeiter arbeiteten im Schnitt seit 25 Jahren für die Firma. Dementsprechend schwierig war es, Veränderungen im Unternehmen anzustossen. In insgesamt zehn Workshops spielte ich zusammen mit einem Partner ein den Führungskräften wohlbekanntes Szenario: Ich war der ziemlich bockige, veränderungsresistente Mitarbeiter und mein Partner der verzweifelte Chef. Die Teilnehmenden wiederum amteten als Regisseure und lieferten Inputs zur Lösung der Situation, die wir in unser Spiel aufnahmen. So näherten wir uns in einem Prozess dem idealen Mitarbeitergespräch an. Eine ganz andere Situation entsteht natürlich, wenn Teilnehmende sich selbst spielen müssen.

Und das machen diese gern?

Die meisten steigen erstaunlich schnell darauf ein, weil die Szenen so alltagsnah sind. Rasch merkt man dann: Das ist kein Spiel mehr für sie, sondern Realität. Es ist eine gute Selbsterfahrung, die oft zu neuen Erkenntnissen verhilft. Natürlich macht die HR auch selber Rollenspiele. Aber dort spielt dann häufig der Arbeitskollege den Chef. Oder – noch schlimmer – der Chef spielt sich selbst. Unter solchen Bedingungen können Teilnehmende sich nicht unbelastet ausprobieren. Bei uns hingegen hat niemand das Gefühl, er oder sie werde bewertet. Um sein Verhalten zu reflektieren und neue Dinge auszuprobieren, ist ein freies Umfeld Grundvoraussetzung. Unsere Angebote sind deshalb oft gewinnbringender als die hauseigenen Lösungen der Firmen.

Eine intensive Vorbereitung ist wichtig

Dies setzt allerdings von Ihnen ein intensives Einarbeiten in die spezifische Situation des Unternehmens voraus.

Ja, das ist Pflicht. Wenn ich für die UBS oder die CS spiele, muss ich natürlich wissen, was ein fixed income deposit ist oder ein ETF (exchange tradet fund = börsengehandelter Fonds, Anmerkungen der Redaktion). Mit meinem Partner Stefan Stahl biete ich ein Comedy-Programm an, bei dem wir als Consultant-Team bei Firmen auftreten. Die Mitarbeiter wissen dabei zunächst nicht, dass wir nur Fakes sind, fragen sich während der Performance aber zunehmend: «Ist das tatsächlich deren Ernst? Ist doch fast zu übertrieben! Oder doch nicht?» Dieses Format funktioniert sehr gut. Aber auch hier ist eine intensive Vorbereitung wichtig, denn es reicht nicht, einfach nur mit Berater-Floskeln um sich zu schmeissen. Stattdessen gilt es, Details aus dem Unternehmen einzubauen, aktuelle Probleme oder Zukunftspläne aufzunehmen und diese humoristisch zu überspitzen – das bewegt die Leute. Wir können uns auch erlauben, den Finger auf die wunden Punkte zu legen und Dinge anzusprechen, die sonst tabu sind.

Und die Firmen lassen sich auf solche Tabubrüche ein?

Wir reichen vorher immer ein Script ein, insofern gibt es keine bösen Überraschungen für die Firmen. Dabei versuchen wir stets, so viel wie möglich auszureizen – nicht nur, weil es uns Spass macht, sondern weil die Lernkurve so am steilsten ist. Ich bin immer wieder erstaunt, dass die Bereitschaft, etwas zu riskieren, bei Firmen höher ist, als man vielleicht erwartet. Für Kuoni arbeiteten wir beispielsweise mit den Marktleitern ein Stück aus, bei dem diese selbst mitspielten. In einer Art Roadshow tourten sie damit durch die Schweiz zu den verschiedenen Niederlassungen. Anstatt mittels PowerPoint-Präsentation die neuen Hotels und Reisen bekannt zu machen, liessen sie sich für das Stück – eine James-Bond-Persiflage – einspannen. Und nahmen sich dabei selbst hoch. So spielte einer der Marktleiter, der die entsprechende Statur hatte, den Beisser – mit Prügel in der Hand und wild grunzend. Das war der Hit! Den Marktleitern gelang es auf diese Weise nicht nur, die neuen Produkte effektvoll vorzustellen, sondern auch sich nahbar zu machen. Die Mechanismen sind dabei die gleichen wie in der Werbung: Emotionen bleiben besser hängen als trockene Infos. Ein Prinzip, das sich in der internen Unternehmenskommunikation im angelsächsischen Raum schon länger durchgesetzt hat und nun auch hier langsam Fuss fasst.

Was war Ihr spannendster Auftrag?

Als Stefan Stahl und ich mit unserem Comedy-Programm «Future Now» als Berater bei einem Kader-Essen im Staatssekretariat für Migration (SEM) auftraten. Der Witz dieses Auftritts lag dabei in unserer Argumentationskette: In einer Art Businessmodell rechneten wir vor, wie sich das Flüchtlingsproblem profitabel machen und als Erfolgsmodell für ganz Europa patentieren liesse. Populistisch überhöht, überspitzt bis an die Grenze des Makabren – daraus entsteht Humor, damit lassen sich Leute bewegen. Natürlich passen wir die Tonalität den Bedürfnissen der Auftraggeber an. Beim SEM jedenfalls scheint schwarzer Humor verbreitet zu sein.

Neue Perspektiven eröffnen, Diskussionen anstossen

Ist Ihr Erfolg messbar?

Unser Erfolg zeigt sich, wenn wir weiterempfohlen werden, durch Applaus oder wenn wir direktes Feedback bekommen. Wir hören häufig, dass die humoristische Herangehensweise den Teilnehmenden neue Perspektiven eröffnet hat. Haben diese sich aktiv beteiligt, hilft ihnen die Realsituation, ihre eigenen Handlungsmuster zu reflektieren. Mit vielen Auftraggebern pflegen wir langjährige Geschäftsbeziehungen und überprüfen die Wirksamkeit unserer Methode regelmässig.

Wie kamen Sie auf die Idee, Unternehmenstheater zu machen?

Ich komme aus der klassischen Schauspielerei und hatte einfach Interesse an diesem noch ziemlich unbearbeiteten Acker. In Deutschland gibt es bereits viele Unternehmenstheater, in der Schweiz ist dies noch nicht so verbreitet. Zudem sind in diesem Bereich nur wenige Theaterleute tätig – die meisten kommen aus der HR, nicht aber aus der Kunst. Dabei ist es wichtig, ein Gespür für Dramaturgie mitzubringen.

Haben Sie von Schauspielerkollegen auch schon kritische Stimmen zu Ihrer Arbeit vernommen? Im Sinne von: Firmentheater ist ein Missbrauch der Kunst für betriebswirtschaftliche Zwecke?

In diesem Bereich hat sich viel getan; Theaterleute sind da viel offener als noch vor ein paar Jahren. Man kann heute zum Beispiel Werbung machen ohne scheel angeschaut zu werden. Es ist auch gang und gäbe, dass CEOs und VRPs ihre grossen Reden mit Schauspielern einüben. Die Grenzen sind generell fliessender geworden. Daher gibt es bei meinen Schauspielkollegen eher Interesse als Kritik an dieser kreativen Form der Unternehmenskommunikation. (kri)

Zur Person

Seit seinem Diplom an der Theater Hochschule Zürich 2004 (jetzt ZHdK) stand *Marco Zbinden auf diversen in- und ausländischen Bühnen, spielte in Fernseh- und Kinoproduktionen mit und arbeitet als Sprecher. Als Schauspieler interessiert ihn, was die Figuren antreibt und welche Funktion sie in der Geschichte erfüllen. Neugier für verschiedene Charaktere und Interesse an Dramaturgie sind auch die Grundpfeiler seiner Arbeit im Unternehmensschauspiel. Er zeichnete als Autor und Regisseur für diverse Unternehmenstheater-Inszenierungen verantwortlich. Marco Zbinden konzipiert und realisiert zudem auch Leadership- und Verkaufs-Trainings. Seit 2013 unterrichtet er Auftrittskompetenz an der Pädagogischen Hochschule Zürich und coacht Einzelpersonen. Er verfügt über ein ausgezeichnetes Netzwerk an erfahrenen Unternehmensschauspielern und Kommunikationsexperten, die ihn nach Bedarf unterstützen.

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