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«Kinder nehmen immer stärker Einfluss auf Kaufentscheidungen in den Familien – auch beim Autokauf»

03.09.15

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Für Unternehmen haben Kinder eine wachsende Bedeutung. Zunehmend erkennen Konzerne das Potenzial einer frühen Markenbindung. Christopher Schering* ist Gründer und Geschäftsführer von cobra youth communications, der Berliner Agentur für Kinder- und Jugendmarketing. Mit etextera sprach er über gute und schlechte Strategien, sich der jungen Zielgruppe kommunikativ zu nähern.

Redaktion/Interview: Textagentur etextera

Herr Schering, was ist leichter: für Kinder oder für Erwachsene zu werben?

Beides ist kompliziert. Aber Werbung für Kinder gestaltet sich vielleicht noch etwas schwieriger, weil die Zielgruppe sehr heterogen ist. Man kann nicht von einer Altersgruppe auf die Gesamtheit schliessen. Ausserdem ist es schwer, sich in Kinder hinein zu versetzen

Wie erreicht man Jungen und Mädchen heute?

Das kommt ganz darauf an, welche Altersgruppe Sie ansprechen wollen. Kinder bis sechs Jahre, die so genannte Pre-School-Altersklasse, erreicht man noch übers Fernsehen und erste Magazine. School kids wiederum über Web und Apps. Sehr schwierig zu erreichen sind dann die Pre Teens: Diese schauen kein Kinderfernsehen mehr, gehören aber auch noch nicht zum Mediaplan der Erwachsenen. Teens sind dann wieder einfacher – diese erreicht man gut über soziale Medien. Kurz: Die Zielgruppe ist sehr zerstückelt. Gleichzeitig gilt es aufzupassen, sie nicht zu segmentiert zu bewerben, denn dies ist betriebswirtschaftlich nicht interessant.

Kinder und Jugendliche sind eine lukrative, gleichzeitig aber sehr schützenswerte Zielgruppe. Für unüberlegte Werbemassnahmen hagelt es deshalb schnell Kritik.

Das stimmt. Bei der Umsetzung ist viel Fingerspitzengefühl gefragt. Kinder und Jugendliche sind nicht umsonst mannigfaltig geschützt – durch Gesetze, aber auch durch Anspruchsgruppen wie etwa dem Konsumentenschutz. Auch eine breite Öffentlichkeit, allen voran Journalisten, schauen da sehr genau hin. Im deutschsprachigen Raum ist es deshalb eine grosse Herausforderung, Kinderwerbung zu machen. In anderen Ländern ist der Umgang mit dem Thema viel gelassener. Hierzulande wird es oft der Industrie zugeschoben, wenn die Familie etwas vernachlässigt: Geht man jedoch mit dem Kind jeden Tag in einem Fastfood-Restaurant essen, wird es eben dick. Ob daran nun die Werbung Schuld trägt, ist zweifelhaft. Natürlich aber sind Kinder naiv und gutgläubig. Ich habe selbst drei Kinder und finde es gut, dass es gewisse Gesetze und Schutzmassnahmen gibt.

Heute bestimmt der Nachwuchs, was auf den Tisch kommt

Was ist das primäre Ziel von Kinderwerbung?

Da gibt es verschiedene Ansätze. Zum einen werden Kinder als direkte Zielgruppe gesehen, die über Taschengeld verfügt und selbst kauft. Zum anderen belegen Studien, dass Kinder und Jugendliche immer stärker Einfluss auf Kaufentscheidungen in den Familien nehmen – etwa im Food-/Beverage-Bereich. Kam früher einfach etwas auf den Tisch, bestimmt dies heute zum Grossteil der Nachwuchs. Selbst in Produktpaletten, an die man zunächst gar nicht denken würde, sind Kinder einflussreich – beim Autokauf zum Beispiel. Dies belegt eine Studie der Daimler AG. Dort wurde gefragt, wer letztendlich entschieden hat, welche Marke gekauft wurde. 60 Prozent der Befragten gaben an: Das Kind.

Damit sind dann wohl hauptsächlich Jugendliche gemeint.

Nein, das geht bereits im Alter von fünf, sechs Jahren los. Das Thema Automobil ist heute relativ austauschbar. Hat man sich fürs Premiumsegment entschieden, ist es fast egal, ob man einen Mercedes oder BMW kauft – die Unterschiede sind gering. Sagt dann der Sohn, er findet Mercedes cooler, geben die Eltern oft nach. «Warum auch nicht», lautet ihre Einstellung, «solange die Kids happy sind.»

Und ein Produkt, das bereits als Kind geliebt wird, findet der Erwachsene später auch noch toll?

Das ist erstaunlicherweise häufig so, ja. Aus der Marktforschung kennen wir eine Studie mit jungen Müttern, die zu ihrem Nutella-Konsum befragt wurden. Mit dem Ergebnis: Diejenigen Mütter, die selbst mit Nutella aufgewachsen waren, kauften dies für ihre Kinder auch. Obwohl sie das Produkt davor zum Teil 25 Jahre und länger nicht mehr konsumiert hatten. Sie griffen also ins Regal und kauften den Aufstrich, ganz ohne sonstige Einflüsse – nur weil sie dies selbst in der Kindheit gegessen hatten. Eine unglaubliche Wirkung! Dieses so genannte Markendepot ist für viele Firmen eine Hauptmotivation, Werbung für Kinder zu machen.

Bei guter Kinderwerbung muss eine Geschichte im Mittelpunkt stehen

Wie sieht gut gemachte Kinderwerbung aus?

Lego macht dies zum Beispiel sehr gut. Die Firma betreibt klassisches Content Marketing, indem sie nicht nur neue Produkte auf den Markt bringt, sondern ganze Produktwelten, wie etwa die Ninjago-Serie. Diese basiert auf einer Geschichte, die wiederum eine erfolgreiche Fernsehserie ist – ein gutes Beispiel für erfolgreiches Storytelling. Für Spielzeug ist es natürlich leicht, Werbung zu machen. Für andere Produkte hingegen ist das viel schwieriger. Hier gilt es zunächst aus der Marke eine eigenständige Welt zu entwickeln, die Kinder fasziniert, und diese dann mit einer Story zu füllen. Wir haben zum Beispiel für Danone Actimel die Actikids entwickelt – und dabei versucht, einen belanglosen Joghurt, der Kinder nicht wirklich anspricht, über Charaktere mit Sympathie aufzuladen.

In Kinderwerbung müssen also Geschichten im Mittelpunkt stehen?

Genau. Kinder hat man schon immer auf diese Weise erreicht, während sich Erwachsene mit Werbebildern wie dem Marlboro-Mann oder der Raffaelo-Frau zufrieden gegeben haben. Erst jetzt hat man entdeckt, dass auch diese sich wünschen, etwas über die Hintergründe der Figuren zu erfahren. Nicht umsonst ist der Begriff Content Marketing in aller Munde. Kinder wiederum fanden platte Werbebilder schon immer witzlos. Da kommen sofort Fragen wie: Wer ist das? Wie heisst der? Kann ich mit dem sprechen?

Und was ist schlechte Kinderwerbung?

Werbung, die over the top ist. Die falsche Sachen sagt und etwa einen Riegel als gesund anpreist, der aber tatsächlich eine Zuckerbombe ist. Wobei dies genaugenommen keine Werbelüge, sondern eine Produktlüge ist. Auch unmoralische Werbung geht gar nicht – also wenn sich Content und Werbung vermischen. So, wie das etwa bei Native Advertising der Fall ist: Dabei wird Werbung in eine Publikation gestreut, die auf den ersten Blick den Eindruck vermittelt, sie gehöre zum redaktionellen Teil. Bei Kindern ist das problematisch, denn diese erkennen das nicht. Schlecht ist natürlich auch spezielle Kinderwerbung, die gänzlich an der Zielgruppe vorbei geht.

Werbung für Kinder muss Erwachsenen nicht gefallen

Weil sie nicht bunt genug ist?

Zum Beispiel, ja. Werbung für Kinder muss nicht schön sein – jedenfalls nicht so, dass sie Erwachsenen gefällt. Wir hören von Kunden oft: «Das ist ja Horror, von dem Anblick bekommt man ja Augenkrebs, diese vielen Farben und die vielen unterschiedlichen Schriften.» Worauf wir sagen: «Ihr seid ja auch nicht die Zielgruppe. Wir haben das getestet, bei Kindern funktioniert das super.» Der Klingeltonanbieter Jamba zum Beispiel hatte in der «Bravo» vor einiger Zeit Anzeigen geschalten: Mini-Icons, nur drei bis vier Zentimeter gross, darunter eine Handynummer, über die man die Klingeltöne abonnieren konnte. Erwachsene fanden dazu keinen Zugang, die Kids jedoch waren begeistert, starrten stundenlang auf die Seite und versuchten, das Ganze zu dechiffrieren.

Ab wann verstehen Kinder das Prinzip Werbung?

Das hängt davon ab, wie medienaufgeklärt sie sind und ab wann dies in der Schule thematisiert wird. Meine Kinder hatten dies schon relativ früh drauf, im Vorschulalter etwa, spätestens aber mit sechs Jahren. Natürlich nicht so schwierige Formate wie das erwähnte Native Advertising, aber die Grundzüge waren ihnen klar. Marken wiederum erkennen Kinder immer früher. Bereits im Alter von zwei, drei Jahren reagieren sie auf Logos – was kein Wunder ist, da Kinder ja heute mit Bildschirmen aufwachsen.

Und was bringt die Zukunft in dieser Hinsicht?

Der Einfluss der Kinder wird immer grösser. Sie bekommen immer mehr Taschengeld, haben also immer grössere ökonomische Macht und gleichzeitig auch immer früher eine Meinung. Ausserdem geht der Trend zum kollaborierenden Familienmodell: Eltern positionieren sich heute komplett anders als vor zehn Jahren. Konnte man damals noch seine Eltern mit Technomusik schocken, funktioniert das heute nicht mehr, denn Eltern und Kinder hören dasselbe. Auch die Mode hat sich angeglichen: Gelang es früher dem Nachwuchs mit der Auswahl seiner Kleidung zu provozieren, gehen heute Mütter und Töchter gemeinsam shoppen. Oder Kinderkino: Maximal ein Elternteil liess sich dafür früher zähneknirschend breit schlagen – heute wiederum pilgern am Wochenende ganze Familien ins Kino, weil sich auch Eltern gerne Kinderfilme anschauen.

Zur Person:

*Christopher Schering ist Gründer und Geschäftsführer von cobra youth communications. Mit seiner auf Kinder-, Jugend-, und Familienmarketing spezialisierten Agentur verschafft er Unternehmen, Organisationen und Verbänden Gehör bei jungen Zielgruppen. Der Full-Service-Dienstleister mit Sitz in Berlin entwickelt und realisiert seit 2002 ganzheitliche Kommunikationsmassnahmen und begleitet seine Kunden von der Marktanalyse bis zur Umsetzung. Im Portfolio von cobra youth communciations finden sich international tätige Konzerne aus Industrie und Handel, namhafte Markenhersteller aus dem Konsumbereich, Medienunternehmen sowie Hochschulen und nichtstaatliche Organisationen. Derzeit hat die Agentur 40 feste Mitarbeiter. cobra youth communications ist Teil des cobra youth Netzwerks, zu dem auch die hundertprozentige Tochteragentur capito – Agentur für Bildungskommunikation GmbH – zählt, die Kreativagentur fhain ideas und der Anbieter für Webanalyse Webtrekk. Zudem organisiert die Agentur den Kongress für Kinder- und Jugendmarketing KID ON.

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